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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenther Bentele
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aus Lindenblüten und legte ihm feuchte Tücher auf die Stirne und um die Waden.
    »Ich will wissen, wer König ist«, knirschte er, »ich oder das Fieber? «
     
    Am folgenden Tag saß Heinrich VII. in seinen prunkvollsten Gewändern aus Seide zu Gericht - dort, wo einst die Priester Roms aus den Eingeweiden von Tieren und aus dem Flug der Vögel die Zukunft gelesen hatten, auf den Resten des Jupitertempels. Ein weiterer Sieg für den angehenden Kaiser, denn wer Recht spricht, hat die Macht!
    Die Bürger Roms jubelten ihm zu: Er hatte auf dem Weg zum Gericht wieder Geld unter die Menge streuen lassen.
    Sein Gesicht war bleich und er sah erschöpft aus. Aber sein Puls jagte nicht mehr und ging regelmäßig.
    Auf der anderen Seite des Tibers erhob sich, jetzt schon nahe, der Turm der langgestreckten Basilika des heiligen Petrus, Krönungsort der Kaiser, Ziel des Italienzugs Heinrichs VII.
    Dazwischen aber lag als ein gewaltiger, dunkler Klotz, mitten im Viertel der feindlichen Familie Orsini, die riesige, runde Festung der Engelsburg.
    Schon die Straßen und Gassen davor waren verbarrikadiert. Dem König und seinen Rittern gelang es am folgenden Tag, die Barrikaden aufzubrechen, denn die Bürger, die sie besetzt hielten, kämpften nicht gerne für die Orsini, deren Bärenwappen über den Befestigungen flatterten. Anders aber war es, als das Heer - noch weit vor den Gräben und Mauern der Engelsburg - auf die Kern-truppen der Orsini stieß. Hier war kein Durchkommen. Zwar geriet Balduin von Luxemburg, Erzbischof und Bruder des Königs, mit einem Orsini ins Handgemenge und spaltete ihm den Schädel - aber auf die Ritter des Königs fielen die Schwerthiebe, Wurfspieße, Steine und Pechkränze nun so dicht, und die Mauern der Engelsburg erhoben sich so hoch über ihren Köpfen, dass der König keinen Sturm auf die Festung wagen konnte. Mit großen Verlusten zog er sich auf den Quirinalhügel zurück.
     
    Das Fieber blieb an diesem Abend aus. Ich hatte erwartet, dass es wiederkommen würde. Doch ich wusste, dass dies nur eine Scheinruhe war - dass es nicht für immer ausbleiben würde, wie der König hoffte: »Na, was sagst du? Keine Schröpfköpfe und kein Fieber!«
    Dennoch war der König bedrückt. An diesem Abend, als nach den unglücklichen Kämpfen des Tages aus allen Klostermauern ernst die Gesänge der Mönche für die Erschlagenen drangen und die untergehende Sonne den römischen Marmor blutig rot färbte, kamen Boten zum König. Sie berichteten, dass der Feind in der Tibermündung Schiffe aus Pisa mit fünfhundert Bogenschützen abgefangen hatte, die das königliche Heer hatten verstärken sollen.
     
    Die aussichtslose Lage besserte sich mithilfe der Bevölkerung von Rom, die weiterhin mit Geld gewonnen wurde. Den Bürgern war es nur lieb, wenn die ständigen Kriege der Adeligen in der Stadt durch einen Kaiser als starken Mann beendet würden. So kochten Volksversammlungen auf den Plätzen der Stadt im Namen des Königs die Stimmung hoch zu einem Volksaufstand, Bürger gegen Bürger, Ghibellinen gegen Guelfen.
    Wie ein Flächenbrand fraß der Bürgerkrieg sich in die Stadt, an-gefacht von Männern des Königs. Fäuste wurden geballt. Wütende Handwerker rotteten sich zusammen. Johlende Banden zogen durch die Straßen. Bürgerhaufen prügelten sich, Steine flogen, Tote lagen auf Straßen und Plätzen. Plünderungen, Rauchwolken, Brände.
    Das schwächte die Macht der Gegner.
    Schließlich fanden sich die Kardinäle bereit, der Krönung endlich zuzustimmen - wenn auch nicht im Vatikan, sondern im Lateran, in der Kirche des heiligen Johannes; rund um die Basilika des heiligen Petrus herrschte nach wie vor der Feind.
    Am 28. Juni, dem Vorabend der Krönung, verlegte der König seinen Wohnsitz vom Quirinal auf den Aventin, weil er auf dem festlichen Weg von dort zur Krönung im Lateran sicher sein konnte vor Banden oder Schlägertrupps des Feindes.
    Ich hatte in jener Nacht das Fieber neu erwartet und alles vorbereitet, ich wollte beim König bleiben, doch er schickte mich weg.
    »Warum gehst du nicht. Auch Ärzte müssen schlafen.«
    »Herr, ich bleibe.«
    »Es gibt keinen Grund.«
    »Ich bleibe, Herr.«
    »Du gehst. Morgen ist Krönung. Es gibt kein Fieber mehr.«
    Ich blieb wach in meiner Kammer, aber der König schickte nicht nach mir.
    Am 29. Juni 1312 ritt Heinrich VII. unter einem wolkenlos klaren Himmel zur Ponte della Forma, der Brücke, wo ihn die führenden Häupter der Stadt Rom nun in einiger Demut

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