Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
Bowl gemacht. Für meinen Geschmack waren das mehr als genug Berührungen. Aber immerhin kenne ich sein Energiemuster gut genug, um ihn zu finden.
Ich folge dem Vibrieren seiner Energie und finde ihn auf einer Straße laufend, die über und über mit matschigen Schlaglöchern übersät ist. Nur sehr tapfere oder dumme Menschen würden sich trauen, hier zu fahren. Bis auf das Plätschern des Regens und dem gelegentlichen Geräusch von einem Pick-up, der durch die Pfützen braust, ist es vollkommen ruhig. Seth sieht mit seinem Rucksack und seinem grünen Regenponcho aus, als hätte er einen Buckel. Er wirkt erschöpft und seine Aura hat die gleiche schlammige Farbe wie die Straße.
Ich frage mich, wo er hinwill.
Er ist circa 25 Kilometer von der kanadischen Grenze entfernt. Wahrscheinlich hat er sein Auto irgendwo nahe der Grenze abgestellt, damit die Polizei glaubt, er sei nach Kanada geflohen. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass die Polizei ihm das abkaufen wird. Es kommt mir komisch vor, dass er zu Fuß geht und kein Zelt und keinen Schlafsack dabeihat. Ich frage mich, ob er einen Plan hat, denn mir fällt beim besten Willen einfach nichts mehr ein.
Bis Schulschluss bleibt noch reichlich Zeit. Also beschließe ich, mir das Beweismaterial anzusehen. Taylor hängt immer noch mit ihrem Rock an dem Ast fest. Ihr lebloser Körper bewegt sich in der Strömung auf und ab. Er hat sich mit Wasser vollgesogen und ihre Haut ist grau marmoriert. Irgendetwas hat an der Innenseite ihres Fußes herumgeknabbert oder -gepickt und ein großes Stück Fleisch fehlt. Wenn sie mir nicht meinen Körper gestohlen hätte, hätte ich jetzt Mitleid. Aber so wie die Dinge momentan stehen, denke ich nur: Auch Krähen müssen essen.
Als ich nach Hause zurückkomme, schläft Taylor immer noch. Ich ramme gegen sie und versuche, in meinen Körper zurückzukommen. Sie wacht in einer quengeligen Stimmung auf, setzt sich auf, sieht mich verschlafen an und gibt eine Salve böser Flüche von sich. Eine Minute wirkt sie verwirrt, dann kommt ihre Erinnerung zurück. Sie begräbt ihren Kopf unter dem Kissen und stöhnt. »Warum bin ich nicht einfach gestorben, als ich konnte?«
Gute Frage! Ich presse mich mit aller Kraft gegen sie und versuche mit Gewalt wieder in meinen Körper zu gelangen.
»Geh weg, Anna.« Sie sieht mich direkt an und faucht. »Du kommst nicht in deinen Körper zurück, gib auf.«
Ich ramme noch einmal gegen sie. All die Energie, die ich gestern Nacht bei Rei aufgesaugt habe, verbraucht sich hier jedoch schnell. Sie wälzt sich zur Seite und sieht auf die Uhr. »Dein Haus ist ein Drecksloch«, höhnt sie.
Dann hau doch einfach ab
, sage ich ihr.
»Was? Ich kann dich nicht hören. Redest du mit mir?«, entgegnet sie spöttisch.
Bitte geh weg
! Ich artikuliere die Worte langsam, bedächtig, und obwohl es mich große Überwindung kostet, versuche ich, höflich zu bleiben.
»Was? Sagst du mir, ich soll gehen?«
Hey, ich kann es ja wenigstens mal versuchen. Ich nicke.
»Weggegangen, Platz vergangen. Ich gehe nirgendwo hin.
Du
verschwindest.«
Wieder zieht sie sich das Kissen über den Kopf.
Ich habe keine Kraft mehr für noch einen Versuch, meinen Körper wieder zu erobern.
Wenn Frustration eine positive Emotion wäre, dann hätte ich jetzt unendlich viel Energie. Wie ironisch. Ich kann durch das Weiße Haus gehen und durch die Gewölbe von Fort Knox, aber eines kann ich nicht: in meinen eigenen Körper zurückkehren. Was mache ich jetzt? Ich stecke in einem riesigen Schlamassel und bin selber schuld daran. Leider habe ich keine Ahnung, wie ich da wieder rauskommen soll.
Rei sitzt in der Schulkantine beim Mittagessen und sieht ganz und gar nicht glücklich aus. Ich bin mir sicher, dass er mittlerweile weiß, dass Seth nicht in die Schule gekommen ist. Er sitzt alleine an seinem Tisch und macht seine Hausaufgaben. Von den Gerüchten über Taylor und Seth hat er keine Ahnung. Als er meine Telefonnummer wählt, wird er zu meiner Mailbox weitergeleitet und hinterlässt mir eine lange Nachricht. Er fühlt sich sicher einsam. »Anna, ich bin’s. Wie geht’s dir? Seth ist heute auch nicht in der Schule. Weißt du vielleicht, wo er ist? Rufst du mich bitte an, sobald du meine Nachricht abgehört hast? Bitte. Ich komme nach der Schule vorbei und schaue nach dir.«
Ein Polizeiauto parkt in der Feuerwehrzufahrt vor der Schule. Im Büro des Rektors sind zwei Polizisten, die Fragen über Taylor und Seth stellen. Der Rektor
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