Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
Rei ihr nach.
Als Saya wieder beschäftigt ist, läuft Rei nach oben, um mit Seth zu sprechen.
Ich gehe nicht in Reis Fitnessraum, ich schwebe nur vor dem Fenster – ich breche also eigentlich keine unserer Regeln.
Als Rei reinkommt, liegt Seth auf dem Boden, seine Füße auf dem Futon ausgestreckt, und hört mit Reis iPod Musik. Er zieht die Ohrstöpsel heraus und grinst breit. »Hey!« Sein Überschwang erinnert mich an einen Welpen.
»Schhh! Anna ist weg, aber Saya ist unten und sieht fern. Ich will nicht, dass sie weiß, dass du da bist.«
»Was haben die Bullen gesagt?«
»Sie wollten wissen, wo du bist. Warum bist du weggelaufen? Du hast doch nichts falsch gemacht. Aber weil du weggelaufen bist, denken sie, dass du was damit zu tun hast.«
Seth setzt sich hin und lehnt sich gegen den Futon. »Es hätte keinen Unterschied gemacht. Nach dem, was passiert ist, bin ich ohnehin verloren.«
Seths Version der Geschichte entspricht exakt meiner. Nur Taylors Version ist eine vollkommen andere. »Und als ich versucht habe, sie hochzuziehen, hat sie das hier gemacht.«
Er muss sich kurz nach seiner Ankunft hier seine Hand mit Verbandsmull aus Reis Medizinschrank verbunden haben. Jetzt löst er den Verband und Rei zuckt zusammen. »Seth, das hat sich wirklich übel entzündet! Du musst damit zu einem Arzt gehen!«
»Auf keinen Fall!«
Sogar von meinem Platz vor dem Fenster aus kann ich erkennen, dass dickflüssiger gelber Eiter aus den langen, tiefen Kratzern läuft.
»Warte hier.« Rei kommt mit einer Handvoll Sachen zurück. Wasserstoffperoxid, Jod, Wattebällchen, Verband und Tape.
»Verdammt, das brennt höllisch!«, beschwert sich Seth, als das Peroxid auf seiner Haut zischt.
Als Seths Handgelenk frisch verbunden ist, er ein Sandwich und ein bisschen Obst gegessen hat, versucht Rei ihn zur Vernunft zu bringen.
»Sag der Polizei einfach, was wirklich passiert ist.«
Seth schüttelt den Kopf. »Sie werden mir nicht glauben. Du weißt doch, ich bin das Psycho-Kind, das eine Glasscheibe zertrümmert hat. Ich wette, Taylors Freunde haben der Polizei längst erzählt, dass sie mich treffen wollte.«
»Was willst du denn tun? Wenn meine Eltern dich finden, dann sorgen sie dafür, dass du zur Polizei gehst.«
»Wissen deine Eltern Bescheid?«
»Heute Morgen wussten sie noch nichts. Aber die Leute im Laden reden ziemlich viel.«
Wir alle wissen, wie schnell sich Gerüchte in dieser Kleinstadt verbreiten.
»Ich habe mein Auto an der Grenze stehen lassen, damit alle denken, dass ich nach Kanada abgehauen bin. Ich dachte, wenn ich hierher laufe und du mir dein Fahrrad leihst, könnte ich Matt um Rat fragen.«
Ich versuche mich daran zu erinnern, wo Seths Bruder Matt zur Uni geht. Ich glaube, irgendwo im Bundesstaat New York. Das ist eine lange Fahrradfahrt!
»Seth, warum willst du weglaufen, wenn du unschuldig bist?«
»Weil ich nicht beweisen kann, dass ich
nicht
schuldig bin!« Seth schlägt mit der Faust gegen das Futon-Kissen. »Ich habe keine Zeugen, und als ich versucht habe, sie festzuhalten, ist ihre Bluse aufgerissen – weit aufgerissen. Das sieht nicht gut für mich aus. Und weißt du, was das wirklich Traurige daran ist?«
Rei schüttelt den Kopf. Ich bin mir sicher, dass im Moment alles für ihn ziemlich traurig aussieht.
»Wenn ich nicht versucht hätte, sie zu halten, wenn ich einfach nur dagestanden hätte und sie fallen gelassen hätte, dann hätte ich dieses Problem gar nicht. Ihre Bluse wäre nicht aufgerissen und sie hätte nicht mein Handgelenk zerkratzt.« Seth lehnt sich zurück und starrt an die Decke. »Das ist der Preis dafür, dass ich ein netter Kerl bin.«
»Was willst du machen? Dein ganzes Leben lang wegrennen?«
Seth zuckt mit den Schultern. »Besser als ins Gefängnis zu gehen. Vielleicht ändere ich meinen Namen. Vielleicht gehe ich nach Kanada. Wer weiß?«
»Irgendwie glaube ich, dass ist leichter gesagt als getan, Seth. Du brauchst Geld, um eine neue Identität zu bekommen. Du musst Kontakte haben, um gefälschte Dokumente zu bekommen.« Rei steht auf. »Ich schaue nach Saya und mache Essen. Denk darüber nach. Ich bin in circa einer Stunde wieder da.«
Doch es ist Rei, der tief in Gedanken versunken den Fisch würzt und Wasser für den Reis aufsetzt. Dann geht er in die Garage und wühlt herum, bis er ein Zelt und Campingsachen aus seinen alten Pfadfinderzeiten findet. Er holt das Zelt heraus und starrt es eine Minute lang an. Dann legt er es zurück und geht
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