Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
in den Fitnessraum zu gehen, aber ich will sichergehen, dass Seth auch schläft.
In der Dunkelheit des Raums lokalisiere ich Seth. Ihn umgibt eine unruhige Vibration und ein Geruch nach nassem Hund. Er schnarcht. Nicht laut genug, dass Yumi oder Robert ein Stockwerk tiefer ihn hören können, aber ich weiß – er schläft. Er scheint halb vom Futon herunterzuhängen – was logisch ist, schließlich ist er ziemlich groß.
Es gibt nichts mehr zu tun. Und ich habe nicht genug Energie, um noch nach Taylor zu schauen. Ich brauche einen kleinen Urlaub … irgendwo, wo es sonnig ist.
Manche Menschen lesen die Bibel, manche den Koran. Ich lese »Der Kleine Prinz« von Antoine de Saint-Exupéry. Er ist deutlich weniger gewalttätig. Und es kommt ein sprechender Fennek darin vor, ein fantastischer Wüstenfuchs mit riesigen Ohren, der in der sonnigen Sahara lebt. In der Geschichtezähmt der kleine Prinz den Fuchs und er teilt dafür seine Weisheit mit ihm.
Ich war schon mal in der Sahara und habe mit einer Wüstenfuchs-Familie gespielt. Ihre Vibration kenne ich gut genug, um sie wiederzufinden. Fenneks bleiben ein ganzes Leben lang zusammen. Ein Grund mehr, sie zu mögen.
Die Geschichte vom kleinen Prinzen erinnert mich an Rei, Seth und mich. Rei versucht verzweifelt, Seth und mich zu zähmen. Ich weiß, dass er sich für uns verantwortlich fühlt. Ich weiß auch, dass wir ihn enttäuschen und dass wir ihm sein Leben manchmal zur Hölle machen. Aber ich bin mir auch sicher, dass Rei und ich immer Freunde bleiben werden. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Seth und ich bereit sind, uns zähmen zu lassen.
Ich kehre früh am Morgen in Reis Schlafzimmer zurück, aufgeladen von der Saharasonne und Babyfuchs-Glück. Rei läuft vor dem Fitnessraum auf und ab. Die Tür steht weit offen.
Noch bevor er es ausspricht, weiß ich, was los ist.
»Seth ist weg!«
17
Rei gibt sich die Schuld für Seths Verschwinden. Ich fühle mich noch viel schuldiger als er – schließlich muss er schlafen und ich nicht. Ich halte es kaum aus, Reis gequälten Gesichtsausdruck anzusehen.
Mach dir keine Sorgen, ich finde ihn!
Ich entdecke Seth auf einer entlegenen Straße in New York auf Reis Mountainbike. Er ist wahrscheinlich auf dem Weg zu seinem Bruder. Am liebsten würde ich mich mitten auf die Straße stellen und mich sichtbar machen. Das würde ihm recht geschehen. Schließlich hat er sich in der Nacht rausgeschlichen und Reis Fahrrad geklaut. Aber eins muss man ihm lassen – er ist verdammt schnell. Er muss im Dunkeln aufgebrochen sein, sonst wäre er nicht so weit gekommen. Ich kehre zurück und erzähle Rei die schlechten Neuigkeiten.
Er hat dein Fahrrad geklaut und ist schon in New York.
Rei schließt die Augen und seufzt. »Dann wird er mit Matt reden.«
Rei ist so unglaublich organisiert. Er sucht in seinem Handy nach Matts Nummer, erreicht aber nur seine Mailbox. Kein Wunder. Es ist Samstag, kurz nach sechs Uhr morgens. »Matt, hier ist Rei Ellis. Ruf an, wenn du meine Nachricht abhörst. Es ist wichtig!«
Er legt auf und dreht sich mit einem strengen Blick zu mir um. »Komm, wir fahren los und schnappen uns Seth.«
Und dann? Erzähl Matt, was passiert ist, wenn er dich zurückruft. Lass IHN Seth zur Vernunft bringen. Vielleicht hat er mehr Glück als du.
»Aber ich muss etwas unternehmen!«, erwidert er.
Warte, bis Matt dich anruft. Dann könnt ihr zusammen entscheiden, was zu tun ist.
Ich sehe Rei fast nie wütend. Und darüber bin ich wirklich glücklich. Wir starren uns eine Weile wortlos an, bis seine Farben wieder kühler werden und er mir endlich zustimmt. »In Ordnung.« Sein Magen knurrt, als er sein Handy in die Tasche steckt. »Bekommst du jemals Hunger in deiner Dimension?«
Macht er sich jetzt über meine Ernährung Sorgen?
Ich kann außerkörperlich nichts essen.
»Das dachte ich mir. Das muss nerven.«
Es nervt tatsächlich. So ziemlich alles nervt.
Ich vermisse Käsekuchen.
Rei nickt mitfühlend. »Vermisst du auch Haferflocken?« Jetzt macht er sich über mich lustig. Er weiß genau, dass ich alles hasse, was aussieht, als sei es schon mal gegessen worden.
Versuchst du mir zu sagen, dass du Hunger hast?
»Sorry, ich war mir nicht sicher, wie das in deiner Dimension mit dem Essen funktioniert. Ich will nicht vor dir essen, wenn es dich stört.«
Du musst essen. Mach dir um mich keine Sorgen.
»Ich soll mir um dich keine Sorgen machen? Na, da muss ich wohl mit dem Atmen aufhören.« Er streckt
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