Auracle - Ein Mädchen, zwei Seelen, eine Liebe (German Edition)
er sagt dem Richter, dass er nicht schuldig ist … Ja, ich weiß, du denkst, dass er schuldig ist.« Seine Finger klopfen immer hektischer auf der Tischplatte herum. »Wenn sie Wert auf deine Anwesenheit gelegt hätten, dann hättest du sicherlich eine Vorladung oder etwas Ähnliches bekommen … Ich weiß nicht – ich bin kein Anwalt … Nein, du kannst jetzt nicht herkommen – ich arbeite gerade an einem Schulprojekt … Morgen, gut morgen.«
Er legt auf, lehnt sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und seufzt. »Ich weiß, ich sollte mehr Zeit mit ihr verbringen, aber das Mädchen macht mir Kopfschmerzen.«
Ich weiß genau, was er meint. Eigentlich wollte ich mehr Zeit mit ihr verbringen, um ihre Schwachpunkte zu finden, aber wir waren zu sehr mit Seth beschäftigt. Bis Freitag können wir jetzt sowieso nichts mehr tun, also habe ich keine Ausrede mehr.
Es ist Zeit, meinen Feind kennenzulernen.
Rei lächelt wie ein stolzer Vater. »Also hörst du mir doch manchmal zu.«
Ich höre dir sehr oft zu! Ich mache nur nicht immer, was du sagst.
Rei muss ein Lachen unterdrücken. »Ach … echt?«
Ich denke, dass auch er mehr Zeit mit Taylor verbringen sollte, und es gibt nur eine Möglichkeit für ihn, das zu tun. Aber ich will nicht, dass er meinen Vorschlag falsch auffasst.
Vielleicht ist es Zeit, dass du in den sauren Apfel beißt und auf ein Date mit ihr gehst.
Rei heult auf. »Ich? Auf ein Date mit Taylor Gleason? Du dumme Nuss, bist du irre?«
Ich rümpfe die Nase über ihn, drehe mich zur Tastatur und tippe:
Ich bin allergisch gegen Nüsse, erinnerst du dich?
»Ich hatte Angst, dass es so weit kommt«, seufzt Rei. »Na ja, schon Sun Tzu hat gesagt, dass Krieg und Täuschung zusammengehören.«
Ich habe nie »Die Kunst des Krieges« gelesen, also glaube ich ihm einfach. Es tut mir leid, dass er es so schrecklich findet, Taylor zu daten, denn es fühlt sich an, als würde er auch einen Teil von mir ablehnen. Immerhin ist es noch mein Körper, auch wenn Taylor in ihm steckt. Aber ich kann ihm keine Vorwürfe machen. Nach dem, was sie angeblich dem Typenin New York angetan hat und was sie Seth antut, müsste man schon verrückt sein, um sie zu daten. Ich könnte Rei gleich ein Seil und einen Stuhl geben, das wäre immer noch besser, als ihn zu bitten, mit Taylor auszugehen.
Schon gut. Es war nur ein Vorschlag.
»Du hast recht. Es ist die einzige Möglichkeit, sie im Auge zu behalten«, sagt er ganz rational. »Du hängst mit ihr ab und lernst sie kennen. Ich beende mein Projekt hier und morgen mache ich auf liebenswürdig und date Taylor.«
Das klingt wie eine perfekte militärische Strategie. Ich strecke meine Daumen nach oben und mache mich auf die Suche nach dem Feind.
Als Taylor aus dem Einkaufszentrum nach Hause kommt, warten dort schon drei Nachrichten auf sie. Die erste ist vom Staatsanwalt. Er will mit ihr reden. Die zweite ist von Seths Anwalt. Er will mit ihr reden. Die dritte ist von Jason Trent. Ich will nicht einmal darüber nachdenken, was er will.
Am nächsten Morgen hefte ich mich an Taylors Fersen, während sie mit Cori zur Schule fährt. Taylor ist das drittintelligenteste Mädchen an unserer Schule. Vielleicht behindert sie mein nicht ganz so brillantes Gehirn, oder sie hat einfach keine Lust, sich für mich anzustrengen. Taylor beim geistigen Leerlauf zuzusehen, ist jedenfalls furchtbar langweilig. Ich kann keine Notizen machen, und ich werde mich sowieso nicht an das erinnern, was Mrs. Bannister sagt. Also hänge ich hinten im Klassenzimmer herum und versuche, mir die Zeit zu vertreiben. Nicht weit entfernt von mir am Rand von einem Pultliegt ein Bleistift. Ich beginne mich zu fragen, ob ich auf den Schatten eines Körpers begrenzt bin, der nicht länger mir gehört. Dann strecke ich meinen unsichtbaren Arm weiter und immer weiter aus, bis ich schließlich den Bleistift berühre und er zu Boden fällt.
Cool!
Papierblätter, Stifte, alles, was leicht genug ist, dass ich es anheben kann, segelt von den Tischen durch das Klassenzimmer. Ich stehe hinten im Raum und dirigiere diesen Unfug. Mrs. Bannister geht zum Fenster und macht es zu.
Ich will Rei zeigen, was ich gelernt habe. Als der Unterricht vorbei ist, finde ich seinen Spind und sehe ihm dabei zu, wie er seine Notiz- und Schulbücher austauscht. Er packt seinen Rucksack, dann geht er in die Cafeteria. Als er sich mit seinem Essen und dem Chemiebuch hingesetzt hat, rüttle ich am Handy in seiner Tasche. Er nimmt es ganz
Weitere Kostenlose Bücher