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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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gesprochen.«
    »Ich muß mit Moskau sprechen, Major, und falls Sie versuchen sollten, ohne mich loszufahren, dann kann ich Ihnen versichern, daß Sie die nächsten paar Jahre damit verbringen werden, Hubschrauber-Landeplätze zu bauen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Falls es zu einer Kraftprobe zwischen dem SWR und dem MWD kommt, sollten Sie sich einer Tatsache bewußt sein: Der SWR gewinnt immer.« Suworin drehte sich um und verneigte sich vor Wawara Safanowa. »Danke für Ihre Hilfe.« Und dann, zu Korf, der dies alles mit weit aufgerissenen Augen beobachtete: »Bringen Sie sie bitte nach Hause. Sie haben gute Arbeit geleistet.«
    »Ich habe es denen gesagt«, sagte die alte Frau plötzlich. »Ich habe denen gesagt, daß dabei nichts Gutes herauskommt.«
    »Damit könnten Sie recht haben«, sagte Suworin. »So, Leutnant, und nun verschwinden Sie. Und wo«, sagte er zu Kretow, »ist das verdammte Telefon?«
    O’Brian hatte darauf bestanden, noch zwanzig Minuten lang zu filmen. Mit Zeichensprache hatte er den Russen dazu gebracht, daß er seine Reliquien ein und dann wieder auspackte, jedes Stück vor die Kamera hielt und erklärte, was es war. (»Sein Buch.« – »Sein Bild.« – »Sein Haar.« Jedes Stück wurde ehrfürchtig geküßt und auf dem Altar arrangiert.) Dann zeigte ihm O’Brian, wie er sich an den Tisch setzen, seine Pfeife rauchen und aus Anna Safanowas Tagebuch vorlesen sollte. (»Erinnern Sie sich an die historischen Worte des Genossen Stalin an Gorki:›Es ist die Aufgabe des Proletariats, Ingenieure menschlicher Seelen zu schaffen…‹«)
    »Großartig«, sagte O’Brian, der mit der Kamera herumwanderte. »Phantastisch. Ist das nicht phantastisch, Fluke?«
    »Nein«, sagte Kelso. »Es ist ein Affenzirkus.«
    »Stellen Sie ihm ein paar Fragen, Fluke.«
    »Ich denke nicht daran.«
    »Nur ein paar, bitte. Fragen Sie ihn, was er vom neuen Rußland hält.«
    »Nein.«
    »Zwei Fragen, und dann verschwinden wir. Ehrenwort.«
    Kelso zögerte. Der Russe musterte ihn und strich mit dem Mundstück der Pfeife über den Bart. Seine Zahnstummel waren fast schwarz. Die Unterseite seines Barts war feucht von Speichel.
    »Mein Kollege möchte wissen«, sagte Kelso, »ob Sie von den großen Veränderungen in Rußland gehört haben und was Sie von ihnen halten.«
    Einen Moment war der Russe stumm. Dann wendete er sich von Kelso ab und schaute direkt in die Kamera. »Ein Grundzug des alten Rußlands«, begann er, »waren die unaufhörlichen Schläge, die es einstecken mußte. Alle schlugen wegen seiner Rückständigkeit auf das Land ein. Es wurde geschlagen, weil es profitabel war und man es ungestraft tun konnte. Das ist das Gesetz der Ausbeuter auf die Rückständigen und die Schwachen einzuschlagen. Es ist das Gesetz des Dschungels des Kapitalismus. Ihr seid rückständig, ihr seid schwach – also seid ihr im Unrecht, also kann man euch schlagen und versklaven.«
    Er lehnte sich mit halbgeschlossenen Augen zurück und sog an seiner Pfeife. O’Brian stand mit der Kamera im Anschlag direkt hinter Kelso, der eine schwere Hand auf der Schulter spürte – die Aufforderung, dem Russen eine weitere Frage zu stellen.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Kelso. »Was wollen Sie damit sagen? Daß das neue Rußland geschlagen und versklavt wird? Aber die meisten Leute sagen das Gegenteil: daß das Leben zwar hart ist, sie jetzt aber zumindest Freiheit genießen.«
    Ein bedächtiges Lächeln, direkt in die Kamera. Der Russe nahm die Pfeife aus dem Mund, beugte sich vor und stieß sie Kelsos Brust entgegen.
    »Das ist sehr gut. Aber leider reicht Freiheit allein bei weitem nicht aus. Wenn es an Brot mangelt, an Butter und anderem Fett, an Textilien, und wenn die Wohnverhältnisse schlecht sind, dann bringt einen die Freiheit nicht sehr weit. Es ist sehr schwierig, Genossen, von der Freiheit allein zu leben.«
    »Was hat er gesagt?« flüsterte O’Brian. »Ergibt es Sinn?«
    »Irgendeinen Sinn schon. Aber es ist seltsam.«
    O’Brian überredete Kelso dazu, noch ein paar Fragen zu stellen, die der Russe alle auf ähnlich gestelzte Art beantwortete. Als Kelso sich weigerte, noch mehr zu fragen, bestand O’Brian darauf, mit dem Russen für eine letzte Aufnahme nach draußen zu gehen.
    Kelso beobachtete die beiden durch das schmale, schmutzige Fenster: O’Brian zog eine Linie im Schnee, ging dann zur Hütte zurück, zeigte auf die Linie, versuchte, dem Russen zu verstehen zu geben, was er von ihm wollte. Es war fast, als

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