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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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trampelnden Füße, die Hurra-Rufe. Er nickte bescheiden. Er lächelte. Er applaudierte seinerseits. Der imaginäre Tumult toste durch die enge Hütte und brandete hinaus auf die verschneite Lichtung, wo er die stummen Bäume zum Bersten brachte.

27. Kapitel
    Felix Suworins Flugzeug sank durch die tiefhängenden Wolken, kurvte nach rechts und folgte der Küstenlinie des Weißen Meeres.
    In der verschneiten Wildnis erschien ein Rostfleck und breitete sich dann aus, und Suworin konnte Einzelheiten erkennen. Verlassene Kräne, leere U-Boot-Docks, halbverfallene Fabrikschuppen… Das mußte Sewerodwinsk sein, Breschnews großer Atom-Schrottplatz, nicht weit von Archangelsk entfernt, wo sie in den siebziger Jahren die U- Boote gebaut hatten, die die Imperialisten in die Knie zwingen sollten.
    Er betrachtete das Gelände, während er seinen Sicherheitsgurt anlegte. Vor ungefähr einem Jahr hatten ein paar Mittelsmänner der Mafia hier herumgeschnüffelt und versucht, einen Atomsprengkopf für die Iraker zu kaufen. Er erinnerte sich an den Fall: Tschetschenen in der Taiga! Unvorstellbar! Und doch würden sie es eines Tages schaffen, dachte er. Es gab zu viel von dem Zeug, zu wenig Wachpersonal, zu viel Geld, das hinter dem Zeug her war. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage würden sich mit den Wahrscheinlichkeitsgesetzen verbinden, und eines Tages würde die Mafia etwas in die Finger bekommen.
    Die Tragflächenklappen bebten, und Suworin hörte das Surren von Kabeln. Sie gingen noch tiefer, schwankten und rüttelten durch den Schneesturm. Sewerodwinsk blieb hinter ihnen zurück. Er konnte graue Scheiben aus gefrierendem Wasser sehen, flaches Sumpfland, Bäume mit weißen Schneekappen und noch mehr Bäume. Sie schienen überhaupt kein Ende zu nehmen. Was konnte da unten leben? Bestimmt nichts und niemand. Sie befanden sich am Rande der Erde.
    Das alte Flugzeug rüttelte noch zehn Minuten weiter, kaum fünfzig Meter über den Kronen der Bäume, und dann sah Suworin ein Lichtmuster im Schnee vor ihnen.
    Es war ein Militärflugplatz, von Bäumen abgeschirmt, mit einem am Rande des Vorfeldes parkenden Schneepflug. Die Rollbahn war offenbar gerade vom Schnee befreit worden, aber es bildete sich bereits wieder eine dünne weiße Haut. Sie näherten sich für einen Erkundungsblick im Tiefflug, stiegen wieder mit ächzenden Triebwerken, dann wendeten sie und setzten zum Landeanflug an. Dabei konnte Suworin einen flüchtigen Blick auf Archangelsk werfen – auf ferne, schattenhafte Mietskasernen und schmutzige Schornsteine –, und schließlich landeten sie, prallten von der Rollbahn ab, einmal, zweimal, bevor sie richtig unten waren und wendeten, wobei die Propeller winzige Schneestürme entfachten.
    Nachdem der Pilot die Triebwerke abgeschaltet hatte, herrschte eine Stille, wie Suworin sie noch nie zuvor erlebt hatte. In Moskau konnte man immer etwas hören, sogar mitten in der Nacht – ein Auto beispielsweise oder einen Streit zwischen Nachbarn. Aber hier nicht. Hier war die Stille total, und das war Suworin zutiefst zuwider. Er mußte reden, nur um sie zu brechen.
    »Gut gemacht«, rief er dem Piloten zu. »Wir haben’s geschafft.«
    »Gern geschehen. Übrigens, da ist eine Nachricht für Sie aus Moskau. Sie sollen den Oberst anrufen, bevor Sie losfahren. Sagt Ihnen das etwas?«
    »Bevor ich losfahre?«
    »Ja.«
    Bevor ich wohin losfahre?
    Zum Aufrechtstehen reichte der Platz nicht aus. Suworin mußte sich ducken. Neben einem großen Hangar konnte er eine Reihe von Doppeldeckern mit arktischem Tarnanstrich sehen.
    Die Tür am hinteren Ende des Flugzeugs schwang auf. Die Temperatur sank um ungefähr fünf Grad. Schneeflocken wirbelten um den Rumpf herum. Suworin griff sich seinen Aktenkoffer und sprang hinunter auf den Beton. Ein Techniker mit einer Pelzmütze deutete auf den Hangar. Seine schwere Schiebetür war zu einem Viertel aufgezogen. Im Schatten, neben mehreren vor dem Schnee in Sicherheit gebrachten Jeeps, wartete das Empfangskomitee: drei Männer in MWD- Uniformen mit AK-74-Sturmgewehren, ein Bursche von der Miliz und bizarrerweise eine alte Frau in dicker Männerkleidung, die sich, wie ein Geier gekrümmt, auf einen Stock stützte.
    Irgend etwas war passiert, das war Suworin sofort klar, und was immer es sein mochte, es war nichts Gutes. Er wußte es, als er seine Hand dem ranghöchsten der Soldaten des Innenministeriums entgegenstreckte – einem stiernackigen jungen Major mit verkniffenem Mund, der Kretow hieß

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