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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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keine Scheiße! Ich habe Ihr Buch gelesen. Überrascht? Über seine Qualität will ich mich nicht äußern. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Sie sind genauso besessen wie ich.«
    »Vielleicht. Aber auf andere Art.«
    »Macht«, sagte Mamantow, der sich das Wort auf der Zunge zergehen ließ, »das absolute Beherrschen und Verstehen der Macht. Darin ist ihm nie ein anderer Mann gleichgekommen. Tun Sie dieses, tun Sie jenes. Denken Sie dieses, denken Sie jenes. Jetzt sage ich, Sie bleiben am Leben, und jetzt sage ich, Sie sterben, und alles, was Sie darauf erwidern, ist:›Ich danke Ihnen für Ihre Güte, Genosse Stalin.‹ Das ist die Besessenheit.«
    »Ja, aber der Unterschied besteht darin, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, daß Sie ihn zurückhaben möchten.«
    »Und Sie möchten nur zuschauen, was? Ich bin scharf aufs Ficken, und Sie sind scharf auf Pornographie?« Mamantow deutete mit einer ruckhaften Daumenbewegung auf das Zimmer.
    »Sie hätten sich eben selbst sehen sollen. ›Ist das nicht eine Notiz für eine Rede? Ist das nicht eine Kopie eines früheren Gemäldes?‹ Augen weit aufgerissen, heraushängende Zunge – der Liberale aus dem Westen, der den Nervenkitzel aus der Distanz genießt. Natürlich hat er auch das begriffen. Und jetzt wollen Sie mir einreden, Sie wollten auf den Versuch, dieses Notizbuch zu finden, verzichten und einfach nach Amerika zurückfliegen?«
    »Würden Sie mich bitte vorbeilassen?«
    Kelso tat einen Schritt nach links, aber Mamantow versperrte ihm weiterhin den Weg.
    »Das könnte eine der größten historischen Entdeckungen unserer Zeit sein. Und Sie wollen davonlaufen? Es muß gefunden werden! Wir müssen es gemeinsam finden. Und dann müssen Sie es der Welt präsentieren. Ich will keinen Anteil daran – ich versichere Ihnen: Ich ziehe das Dasein im Schatten vor-, Sie allein werden alle Ehren einheimsen.«
    »Und was soll das hier, Genosse Mamantow?« sagte Kelso mit erzwungener Fröhlichkeit. »Bin ich ein Gefangener?«
    Zwischen ihm und der Außenwelt lagen, überlegte er, ein recht rüstiger und offensichtlich verrückter Ex-KGB-Mann, ein bewaffneter Leibwächter und zwei Türen, eine davon aus Stahl. Und einen Augenblick lang glaubte er, daß Mamantow tatsächlich die Absicht hatte, ihn festzuhalten; er hatte alles mögliche, was in irgendeinem Zusammenhang mit Stalin stand, also weshalb nicht einen Stalin-Historiker in Formaldehyd konservieren und in einem gläsernen Sarg zur Schau stellen wie Lenin? Aber dann rief die Frau auf dem Gang: »Was macht ihr da drin?«, und der Bann war gebrochen.
    »Nichts«, rief Mamantow. »Hör auf zu lauschen. Geh wieder in dein Zimmer. Viktor!«
    »Aber wer sind all die Leute?« jammerte die Frau. »Ich will das jetzt wissen. Und warum ist es immer so dunkel?« Sie begann zu heulen. Man konnte das Schlurfen ihrer Füße und dann das Geräusch einer zufallenden Tür hören.
    »Tut mir leid«, sagte Kelso.
    »Auf Ihr Mitgefühl kann ich verzichten«, sagte Mamantow. Er trat beiseite. »Also, gehen Sie! Verschwinden Sie von hier. Gehen Sie.« Als Kelso die Diele zur Hälfte hinter sich gelassen hatte, rief Mamantow ihm nach: »Wir reden noch einmal über diese Sache! Auf die eine oder die andere Weise.«
    In dem Wagen unten auf der Straße saßen jetzt drei Männer, aber Kelso war zu sehr in Gedanken versunken, um ihnen sonderlich viel Aufmerksamkeit zu widmen. Er blieb einen Moment im düsteren Eingang des Hauses am Kai stehen, um die geschulterte Segeltuchtasche zurechtzurücken, dann machte er sich in Richtung Bolschoi-Kamenny-Brücke auf den Weg.
    »Da ist er, Major«, sagte der Mann mit der Narbe. Felix Suworin lehnte sich auf seinem Sitz vor, um Kelso besser sehen zu können. Für einen Major im SWR war Suworin noch sehr jung – erst in den Dreißigern –, ein adretter Mann mit blondem Haar und kornblumenblauen Augen. Er benutzte ein auffälliges Aftershave aus dem Westen: In dem kleinen Wagen duftete es stark nach Eau Sauvage.
    »Hatte er diese Tasche schon bei sich, als er reingegangen ist?«
    »Ja, Major.«
    Suworin schaute zu Mamantows Wohnung im achten Stock hinauf. Die Überwachung müßte noch sorgfältiger werden. Der SWR hatte es zwar geschafft, zu Beginn der Operation in der Wohnung eine Wanze anzubringen, aber es hatte nur drei Stunden gedauert, bis Mamantows Leute sie entdeckt und herausgerissen hatten.
    Kelso stieg inzwischen die Treppe zur Brücke hinauf.
    »Folgen Sie ihm, Bunin«, sagte Suworin und tippte dem

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