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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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stehen und schaute in sie hinein. Ein Wagen der Miliz kam sehr langsam auf ihn zu und fuhr an ihm vorbei. Die Straße war menschenleer.
    Er fand Nummer drei sofort, aber er wollte sich erst mit der Umgebung vertraut machen und sich vergewissern, daß niemand in der Nähe war, also ging er daran vorbei, ganz bis zum Ende der Straße, um dann auf der entgegengesetzten Seite zurückzukehren. Da war ein roter Halbmond und ein roter Stern. Und das Haus wurde von Teufeln mit geschwärzten Gesichtern bewacht. Plötzlich begriff er, was der alte Mann gemeint haben mußte. Ein roter Halbmond und ein roter Stern – das mußte eine Flagge gewesen sein –, die Flagge eines islamischen Landes. Und die schwarzen Gesichter? Das Haus mußte eine Botschaft gewesen sein für irgend etwas anderes war es zu groß –, die Botschaft eines islamischen Landes, vielleicht in Nordafrika. Er war überzeugt, daß er recht hatte. Es war ein riesiges Gebäude, soviel stand fest, abstoßend und häßlich, aus sandfarbenem Stein erbaut, der es wie einen Bunker aussehen ließ. Es erstreckte sich mindestens vierzig Meter an der Westseite der Straße entlang. Er zählte dreizehn Fenster. Oberhalb der massiven Eingangstür hing ein eiserner Balkon, von dem aus eine Doppeltür ins Haus führte. Er sah weder ein Namensschild noch eine Fahne. Wenn es eine Botschaft gewesen war, dann war sie inzwischen verlassen – wie ausgestorben.
    Er überquerte die Straße und ging nahe an das Gebäude heran, schlug mit der Handfläche gegen den groben Stein. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte, durch die Fenster hineinzuschauen. Aber sie saßen zu hoch, außerdem hätten ihm die hinter allen Fenstern hängenden grauen Netzgardinen den Einblick verwehrt. Er gab es auf und folgte der Fassade um die Ecke herum. Das Haus erstreckte sich auch entlang dieser Straße. Wieder dreizehn Fenster, keine Tür, dreißig oder vierzig Meter massives Mauerwerk – riesig, undurchdringlich. Wo dieser gewaltige Brocken von einem Haus schließlich endete, war eine Mauer aus demselben Stein, ungefähr drei Meter hoch, in die eine verschlossene, mit Eisen beschlagene Tür eingelassen war. Die Mauer erstreckte sich weiter – die Straße hinunter, am Rande der Ringstraße entlang – und zweigte dann in die schmale Gasse ab, die an die vierte Seite des Anwesens grenzte. Während er um den Bau herumwanderte, wurde Kelso klar, weshalb Berija sich für diesen entschieden hatte und weshalb seine Rivalen zu dem Schluß gelangt waren, daß sie sich seiner nur im Kreml bemächtigen konnten. Innerhalb dieser Festung hätte er selbst einer Belagerung widerstehen können.
    Der Nachmittag ging in die Dämmerung über, und die Lichter in den Nachbarhäusern zeichneten sich deutlicher ab. Aber Berijas Haus blieb ein dunkler Kasten. Es schien die Schatten in sich aufzusaugen. Er hörte, wie eine Wagentür zufiel, und kehrte an die Ecke der Wspolny-Straße zurück. Während er sich an der Rückseite des Grundstücks aufgehalten hatte, war vorn ein kleiner Transporter vorgefahren. Kelso zögerte, dann setzte er sich wieder in Bewegung. Der Transporter war ein russisches Fabrikat – weiß, ohne Aufschrift, leer. Der Motor war offenbar gerade erst abgeschaltet worden, denn das leise Ticken beim Abkühlen war noch zu hören. Als Kelso sich auf gleicher Höhe mit dem Transporter befand, warf er einen Blick auf das Haus und sah, daß die Tür einen Spaltbreit offenstand. Er zögerte abermals, warf in beide Richtungen einen Blick auf die stille Straße. Er ging hinüber, steckte seinen Kopf durch den Spalt und rief einen Gruß hinein.
    Seine Worte hallten von den Wänden in der leeren Diele wider. Das Licht drinnen war schwach und schimmerte bläulich. Auch ohne einen weiteren Schritt zu tun, konnte er erkennen, daß der Fußboden aus schwarzweißen Fliesen bestand. Zu seiner Linken führte eine breite Treppe nach oben. Das Haus roch intensiv nach Moder und alten Teppichen. Es ging eine erdrückende Stille von ihm aus, als wäre es seit Monaten verschlossen gewesen. Er stieß die Tür weit auf und tat einen Schritt hinein.
    Er rief abermals.
    Jetzt hatte er zwei Möglichkeiten. Er konnte an der Tür stehenbleiben, oder er konnte weiter hineingehen. Er ging weiter hinein, und sofort mußte er sich, wie eine Laborratte in einem Labyrinth, zwischen einer Vielzahl von Möglichkeiten entscheiden. Er konnte bleiben, wo er war, oder er konnte zu der Tür links von ihm gehen oder zu der Treppe oder

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