Aurora
Mann vor sich leicht auf die Schulter. »Bitte, nichts Auffälliges. Versuchen Sie nur, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wollen diplomatische Verwicklungen vermeiden.«
Leise murrend hievte sich Bunin aus dem Wagen.
Kelso ging jetzt recht zügig. Er war schon fast auf Fahrbahnhöhe angekommen, und der Russe mußte im Laufschritt zur Treppe eilen, um aufschließen zu können.
Es sieht fast so aus, dachte Suworin, als hätte er es verdammt eilig, irgendwo hinzukommen. Oder will er nur schnell von hier verschwinden?
Er betrachtete die verschwommenen Gesichter der beiden Männer, die inzwischen oben auf der Steinbrüstung angekommen waren und im grauen Nachmittagslicht der anderen Flußseite zustrebten, um dann aus seinem Blickfeld zu verschwinden.
5. Kapitel
Kelso bezahlte an der Metrostation Borowizkaja seine zwei Rubel, nahm den Plastikjeton entgegen und stieg aufatmend in die Moskauer Erde hinab. Am Eingang zum Bahnsteig für die nordwärts fahrenden Züge drängte ihn etwas, einen Blick auf die Rolltreppe zurückzuwerfen, um zu sehen, ob Mamantow ihm folgte, er konnte aber zwischen den Reihen erschöpfter Gesichter keine Spur von ihm entdecken.
Es war ein verrückter Gedanke – verlegen lächelte er über seine Anwandlung von Paranoia. Er setzte seinen Weg fort, der anheimelnden Düsternis und der warmen, ölgeschwängerten Luft entgegen, die vor Elektrizität zu knistern schien. Da tanzte auch schon ein gelbes Scheinwerferlicht um die Biegung des Tunnels, und das schnelle Einfahren des Zuges trieb ihn vorwärts. Kelso ließ sich von der Menge in einen Wagen drängen. Es lag ein eigenartiger Trost in dieser schäbigen, schweigenden Menschenmasse. Er hielt sich an der metallenen Haltestange fest und ruckte und schwankte wie alle anderen, als der Zug seinen Weg durch den Tunnel fortsetzte.
Sie waren noch nicht weit gekommen, als er plötzlich die Fahrt verlangsamte und dann anhielt – eine Bombendrohung an der nächsten Station, wie sich herausstellte: Die Miliz mußte das erst überprüfen –, und so saßen sie da im Halbdunkel; niemand sagte etwas, gelegentlich hustete jemand, fast unmerklich stieg die Anspannung der Leute.
Kelso starrte sein Spiegelbild auf der dunklen Scheibe an. Er war nervös, das mußte er sich eingestehen. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß er sich gerade eben in irgendeine Art von Gefahr begeben hatte, daß es ein schwerer Fehler gewesen war, Mamantow von dem Notizbuch zu erzählen. Wie hatte der Russe es genannt. Etwas, für das zu sterben sich lohnen würde?
Es war eine Erlösung für die angespannten Nerven, als schließlich das Licht wieder anging und der Zug sich in Bewegung setzte. Der beruhigende Gleisrattern kehrte zurück.
Als Kelso die Erdoberfläche wieder erreicht hatte, war es schon nach vier Uhr. Tief am westlichen Himmel, direkt oberhalb der Wipfel der dunklen Bäume, die den Zoopark säumten, war ein zitronengelber Spalt in den Wolken. Der winterliche Sonnenuntergang würde keine Stunde mehr auf sich warten lassen. Kelso würde sich beeilen müssen. Er faltete seinen Stadtplan zu einem kleinen Quadrat und drehte ihn so, daß die Metrostation auf der rechten Seite war. Auf der anderen Straßenseite war der Eingang zum Zoo – rote Felsen, ein Wasserfall, ein Phantasieturm – und, ein Stückchen weiter, ein Biergarten, der in dieser Jahreszeit geschlossen war: Die zusammengefalteten Plastiktische waren aufgestapelt, und die Sonnenschirme knatterten im Wind. Er konnte das Tosen des Verkehrs auf der Gartenringstraße hören, die in ungefähr zweihundert Meter Entfernung vor ihm lag. Über die Ringstraße rüber, scharf links, dann rechts, und da mußte es dann sein. Er steckte den Stadtplan wieder ein, nahm seine Tasche auf und ging die gepflasterte Anhöhe hinauf, die zu der großen Kreuzung führte.
Zehn Fahrspuren bildeten einen riesigen, langsam dahinfließenden Strom aus Licht und Stahl. Er überquerte sie im Zickzack, und plötzlich war er im Diplomatenviertel von Moskau: breite Straßen, prächtige Häuser, alte Birken, die tote Blätter auf glänzende schwarze Wagen herabregnen ließen. Menschen waren kaum zu sehen. Er begegnete einem silberhaarigen Mann, der einen Pudel spazierenführte, und einer Frau in grünen Gummistiefeln, die unter ihrem moslemischen Gewand herausragten. Hinter den dichten Tüllgardinen der Fenster konnte er hin und wieder den gelben Schemen eines Kronleuchters erkennen. Er blieb an der Ecke der Wspolny-Straße
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