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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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York Times einen Artikel darüber für die Seite drei anbot, aber man hatte kein Interesse gezeigt.
    »Bemerkenswert«, sagte Mamantow beipflichtend. »Ich würde sogar sagen: erstaunlich – wenn man bedenkt, wie Stalin von sogenannten ›Historikern‹ verleumdet wird.«
    Es folgte eine verlegene Pause.
    »So eine Sammlung«, sagte Kelso, »es muß Jahre gekostet haben, sie zusammenzutragen.« Und ein Vermögen, hätte er beinahe hinzugesetzt.
    »Ich bin an ein paar Geschäften beteiligt«, sagte Mamantow gleichmütig. »Und ich habe sehr viel Zeit, seit ich mich ins Privatleben zurückgezogen habe.« Er streckte die Hand aus, um die Büste zu berühren, doch dann zögerte er und zog sie wieder zurück. »Das Problem besteht wie für jeden anderen Sammler natürlich darin, daß er an privaten Besitztümern so wenig hinterlassen hat. Er hatte kein Interesse daran, sich alle möglichen Dinge zuzulegen – ganz im Gegensatz zu den korrupten Schweinen, die heute im Kreml sitzen. Ein paar einfache, von der Regierung zur Verfügung gestellte Möbel waren alles, was er hatte. Das und die Kleider, die er am Leibe trug. Und sein privates Notizbuch natürlich.« Er warf Kelso einen verschlagenen Blick zu. »Das wäre natürlich etwas. Etwas – wie sagen die Amerikaner? –, für das zu sterben sich lohnen würde?«
    »Sie haben also davon gehört?«
    Mamantow lächelte – ein unerhörtes Ereignis – ein dünnes, schmales, flüchtiges Lächeln, eine sich plötzlich auftuende Eisspalte. »Sie interessieren sich für Jepischew?«
    »Für alles, was Sie mir über ihn erzählen können.«
    Mamantow durchquerte das Zimmer, trat vor das Bücherregal und zog ein dickes, in Leder gebundenes Fotoalbum heraus. Auf einem höheren Bord konnte Kelso die beiden Bände Wolkogonow sehen – natürlich hatte Mamantow sie gelesen.
    »Ich habe Alexej Alexejewitsch 1957 kennengelernt«, sagte er, »als er Botschafter in Bukarest war. Ich kehrte gerade aus Ungarn zurück, nachdem wir dort Ordnung geschaffen hatten. Neun Monate ohne Unterbrechung. Ich war urlaubsreif, das können Sie mir glauben. Wir sind zusammen in der Gegend um Azuga auf die Jagd gegangen.«
    Er wickelte behutsam eine Schicht Seidenpapier ab und legte das schwere Album vor Kelso hin. Er hatte es bei einem mit einer Amateurkamera aufgenommenen Foto aufgeschlagen, und um zu erkennen, was es zeigte, mußte Kelso sehr genau hinschauen. Im Hintergrund ein Wald. Im Vordergrund zwei Männer mit ledernen Jagdmützen und pelzgefütterten Jacken. Sie lächelten, hielten Gewehre in den Händen, und zu ihren Füßen türmten sich tote Vögel. Jepischew stand links und Mamantow direkt neben ihm – schlanker als heute, aber mit der gleichen harten Miene, die Karikatur eines KGB-Mannes während des kalten Krieges.
    »Irgendwo muß noch ein anderes sein.« Mamantow beugte sich über Kelsos Schulter und schlug ein paar Blätter um. Aus der Nähe roch er ältlich, nach Mottenkugeln und Karbol. Zudem war er schlecht rasiert, wie das bei alten Männern vorkommt, mit grauen Stoppeln im Schatten seiner Nase und in der Spalte seines breiten Kinns. »Hier.«
    Es handelte sich um ein wesentlich größeres, von einem Profi aufgenommenes Foto, auf dem an die zweihundert Männer zu sehen waren, in vier Reihen aufgestellt wie bei einer Schulabschlußfeier. Einige trugen Uniform, andere Zivil. Unter dem Foto stand »Swerdlowsk, 1980«.
    »Das war bei einem Ideologie-Seminar, das vom Sekretariat des Zentralkomitees organisiert wurde. Am letzten Tag hat Genosse Suslow persönlich eine Rede gehalten. Das bin ich.« Er zeigte auf ein grimmiges Gesicht in der dritten Reihe, dann bewegte er seinen Finger zum Vordergrund, zu einer entspannt und mit untergeschlagenen Beinen auf der Erde sitzenden Gestalt. »Und das – wären Sie darauf gekommen? – ist Wolkogonow. Und hier haben wir wieder Alexej Alexejewitsch.«
    Es war, als betrachtete man ein Gruppenaufnahme von Offizieren der Zarenzeit, dachte Kelso – diese Selbstsicherheit, dieses Weihevolle, diese männliche Arroganz! Und trotzdem war binnen zehn Jahren ihre Welt in die Brüche gegangen:
    Jepischew war tot, Wolkogonow hatte sich von der Partei losgesagt, Mamantow saß im Gefängnis.
    »Jepischew ist 1985 gestorben«, sagte Mamantow. Er starb gerade zu der Zeit, als Gorbatschow an die Macht kam, und das sei Mamantows Meinung nach für einen anständigen Kommunisten genau der richtige Zeitpunkt – Alexej Alexejewitsch sei verschont worden. Er sei ein

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