Aurora
Jahrgangsbester abschließt. Fluke, der wie zufällig auf der Türschwelle von einem der gefährlichsten Männer Moskaus aufkreuzt – und der sich natürlich einbildete, als Ausländer nicht weiter behelligt zu werden. Ja, man würde sich vor diesem Fluke in acht nehmen müssen.
»… 1978 Stipendium für Harvard: 1980 im Rahmen des ›Studenten für den Frieden‹ -Programms zum Studium an der Moskauer Universität zugelassen; Kontakte mit Dissidenten – siehe Anlage ›A‹ – führten zur Neueinstufung von ›bürgerlichliberal‹ zu konservativ und reaktionär. 1984 Veröffentlichung der Doktorarbeit, Macht im Land: Die Bauernschaft der Wolgaregion, 1917-1922; 1983-1994 Dozent für moderne Geschichte in Oxford; jetzt wohnhaft in New York City, Verfasser der Oxford-Geschichte Osteuropas, 1945-1987; Vortex: Der Zusammenbruch des Sowjetreiches, erschienen 1993; zahlreiche Artikel…«
»Das reicht, Netto«, sagte Arsenjew und hob eine Hand. »Es wird spät. Haben wir uns je an ihn herangemacht?« Die Frage war an Suworin gerichtet.
»Zweimal«, sagte Suworin. »Einmal natürlich an der Universität, 1980. Und dann noch einmal 1991 in Moskau, als wir versucht haben, ihn mit Demokratie und dem neuen Rußland zu ködern.«
»Und?«
»Und? Man braucht sich doch nur die Akte anzuschauen. Ich würde sagen, er hat uns einfach ausgelacht.«
»Gibt es Hinweise, daß er für einen der westlichen Geheimdienste arbeitet?«
»Unwahrscheinlich. Er hat einen Artikel im New Yorker veröffentlicht – er ist in der Akte enthalten –, in dem er erzählt, wie sowohl die CIA als auch der SIS versucht haben, ihn zu rekrutieren. Ein sehr amüsanter Artikel.«
Arsenjew hob die Brauen. Er mißbilligte eitles Getue in der Öffentlichkeit, auf welcher Seite auch immer. »Frau? Kinder?« Netto sprang wieder in die Bresche: »Dreimal verheiratet.« Er warf einen Blick auf Suworin, aber Suworin bedeutete ihm mit einer kleinen Geste, ruhig weiterzureden: Er war froh, wenn er sich im Hintergrund halten konnte. »Zuerst, als Student, mit Katherine Jane Owen, 1979 geschieden. Zweitens mit Irina Michailowna Pugatschewa, 1981…«
»Er hat eine Russin geheiratet?«
»Eine Ukrainerin. Mit ziemlicher Sicherheit eine Scheinehe. Sie wurde wegen staatsfeindlicher Umtriebe von der Universität verwiesen. Damals begann Kelso Kontakte zu Dissidenten aufzunehmen. 1984 hat sie ein Visum bekommen.«
»Wir haben also drei Jahre lang ihre Ausreise nach England blockiert?«
»Nein, Oberst, das haben die Briten getan. Als die sie schließlich hereingelassen haben, lebte Kelso bereits mit einer seiner Studentinnen zusammen, einer Amerikanerin, einer Rhodes-Stipendiatin. Die Ehe mit der Pugatschewa wurde 1985 geschieden. Sie ist jetzt mit einem Kieferorthopäden in Glamorgan verheiratet. Wir besitzen eine Akte über sie, aber ich habe leider…«
»Vergessen Sie’s«, sagte Arsenjew. »Sonst ersticken wir noch in Papier. Und die dritte Ehe?« Er zwinkerte Suworin zu. »Ein richtiger Romeo.«
»Margaret Madeline Lodge, eine amerikanische Studentin…«
»Ist das die Rhodes-Stipendiatin?«
»Nein, es handelt sich hier um eine andere Rhodes-Stipendiatin. Er hat sie 1986 geheiratet. Die Ehe wurde voriges Jahr geschieden.«
»Kinder?«
»Zwei Söhne. Sie leben bei ihrer Mutter in New York.«
»Man muß diesen Mann bewundern«, sagte Arsenjew, der trotz seiner Körperfülle selbst eine Geliebte hatte, die in der Technischen Abteilung arbeitete. Er betrachtete das Foto und verzog anerkennend den Mund. »Was tut er in Moskau?«
»Rosarchiv veranstaltet gerade eine Konferenz«, sagte Netto, »für ausländische Wissenschaftler.«
»Felix Stepanowitsch?«
Major Suworin hatte das rechte über das linke Bein geschlagen, die Ellenbogen ruhten bequem auf der Rückenlehne des Sofas, das Sportjackett hatte er aufgeknöpft – lässig, selbstsicher, amerikanisiert: sein Stil eben. Er zog erst noch an seiner Pfeife, bevor er sprach.
»Die Worte, die er am Telefon verwendet hat, sind offensichtlich zweideutig. Man könnte ihnen entnehmen, daß Mamantow dieses Notizbuch hat und der Historiker es sehen möchte. Oder der Historiker selbst hat das Notizbuch oder hat von ihm gehört und möchte nun irgendwelche Details mit Mamantow klären. Wie dem auch sei, auf jeden Fall weiß Mamantow genau, daß wir ihn abhören – nicht umsonst hat er das Gespräch so kurz gehalten. Für wann ist Kelsos Abreise aus der Föderation angesetzt, Wissari, haben wir das schon
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