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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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wenn wir nur mehr Leute hätten!« Suworin schlug frustriert mit der Faust auf seinen Schreibtisch. »Wo ist Kolosow?«
    »Er ist gestern in die Schweiz abgeflogen.«
    »Ist sonst noch jemand verfügbar? Barsukow?«
    »Barsukow ist mit seinen Deutschen in Iwanowo.«
    Suworin stöhnte. Die ganze Operation stand auf tönernen Füßen und bewegte sich praktisch im luftleeren Raum, das war das Problem. Sie hatte weder einen Namen noch ein Budget. Theoretisch war sie nicht einmal legal.
    Netto machte sich rasch Notizen. »Was soll mit Kelso geschehen?«
    »Behalten Sie ihn weiterhin im Auge.«
    »Wir sollen ihn nicht festnehmen?«
    »Mit welcher Begründung? Und wo sollten wir ihn hinbringen? Wir haben keine Zellen. Wir haben keinerlei legale Basis für das Vornehmen von Verhaftungen. Wie lange ist Mamantow jetzt schon verschwunden?«
    »Seit drei Stunden, Major. Es tut mir leid, ich…« Netto sah aus, als wäre er den Tränen nahe.
    »Vergessen Sie’s, Wissi. Es ist nicht Ihre Schuld.« Er lächelte das Spiegelbild des jungen Mannes an. »Mamantow hat solche Maschen schon abgezogen, als wir beide noch im Mutterleib steckten. Wir werden ihn finden«, setzte er mit einer Zuversicht hinzu, die er selbst nicht empfand, »früher oder später. So, und jetzt verschwinden Sie. Ich muß meine Frau anrufen.«
    Nachdem Netto gegangen war, holte Suworin das Foto von Kelso aus der Akte und heftete es an das Anschlagbrett neben seinem Schreibtisch. Da saß er nun, hatte dermaßen viel Arbeit mit anderen Dingen, die wirklich wichtig waren – Wirtschaftsspionage, Biotechnologie, Glasfaser-Optik –, er aber mußte sich damit beschäftigen, ob und weshalb Wladimir Mamantow hinter Stalins Notizbuch her war. Es war absurd. Es war schlimmer als absurd. Es war beschämend. Was war das nur für ein Land? Langsam stopfte er seine Pfeife und zündete sie an. Dann stand er eine volle Minute da, die Hände im Genick verschränkt, die Pfeife zwischen den Zähnen, und betrachtete den Historiker mit einem Ausdruck tiefsten Abscheus.

7. Kapitel
    Fluke Kelso lag in seinem Zimmer im 22. Stock des Hotels Ukraina flach auf dem Rücken, rauchte eine Zigarette und starrte die Decke an. Die Finger der linken Hand krümmten sich um die vertraute, trostspendende Form einer Halbliterflasche Scotch.
    Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Mantel auszuziehen. Auch die Nachttischlampe hatte er nicht eingeschaltet, aber das wäre auch nicht nötig gewesen. Die grellweißen Scheinwerfer, die den Wolkenkratzer in stalinistischer Gotik anstrahlten, drangen in sein Zimmer und sorgten für eine Art fiebriger Illumination. Durch das geschlossene Fenster konnte er den abendlichen Verkehr auf der nassen Straße tief drunten hören.
    Dieser Moment, dachte er immer, hat für einen Neuling in einer fremden Stadt irgendwie etwas Melancholisches die Dämmerung, die spröden Lichter, das Absinken der Temperatur, die nach Hause eilenden Büroangestellten, die Geschäftsleute, die versuchten, in den Hotelbars einen fröhlichen Eindruck zu machen.
    Er nahm noch einen Schluck von dem Scotch, dann langte er nach dem Aschenbecher, stellte ihn sich auf die Brust und drückte die Zigarette darin aus. Der Aschenbecher war nicht ordentlich gesäubert worden. In den Ascheresten klebte wie ein kleines grünes Ei immer noch ein Klümpchen von Rapawas Rotz.
    Es hatte Kelso nur ein paar Minuten gekostet – die Dauer eines kurzen Abstechers in das Business Center des Ukraina und die Zeit, die er brauchte, um in ein altes Moskauer Telefonbuch zu schauen –, um festzustellen, daß das Haus in der Wspolny-Straße tatsächlich einmal eine afrikanische Botschaft gewesen war, und zwar die von Tunesien.
    Und es hatte auch nicht viel länger gedauert, sich den Rest der Informationen zu beschaffen, die er brauchte. Er hatte auf der Kante seines harten und schmalen Bettes gesessen und sich am Telefon mit dem Pressereferenten der neuen tunesischen Botschaft unterhalten, wobei er ein ernsthaftes Interesse am boomenden Moskauer Immobilienmarkt und am genauen Aussehen der tunesischen Flagge geheuchelt hatte.
    Dem Pressereferenten zufolge war den Tunesiern das Haus an der Wspolny-Straße im Jahre 1956 von der Sowjetregierung angeboten worden, und zwar mit einem kurzfristigen Mietvertrag, der alle sieben Jahre erneuert werden mußte. Im Januar war dem Botschafter mitgeteilt worden, daß der Vertrag nach Ablauf nicht erneuert werden würde, und im August waren sie ausgezogen. Und um die Wahrheit zu

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