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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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herausbekommen?«
    »Für morgen mittag«, sagte Netto. »Delta-Flug nach New York, Abflug vom Scheremetjewo-2 um dreizehn Uhr dreißig. Platz gebucht und bestätigt.«
    »Ich schlage vor, daß wir Kelso irgendwie aufhalten, um ihn zu durchsuchen«, sagte Suworin. »Am besten nehmen wir eine Leibesvisitation vor, wenn nötig, kann ja der Start verzögert werden – mit der Begründung, daß er verdächtigt wird, Material von historischem oder kulturellem Interesse herausschmuggeln zu wollen. Falls er aus diesem Haus in der Wspolny-Straße irgend etwas entwendet hat, können wir es ihm vielleicht abnehmen. In der Zwischenzeit behalten wir Mamantow weiter im Auge.«
    Ein Summer ertönte auf Arsenjews Schreibtisch.
    »Da ist ein Anruf für Wissari Petrowitsch«, war Sergos Stimme zu hören.
    »Nehmen Sie ihn bitte im Vorzimmer entgegen, Netto«, sagte Arsenjew. Nachdem Netto die Tür hinter sich zugemacht hatte, warf er Suworin einen finsteren Blick zu. »Ehrgeiziger kleiner Bastard, was?«
    »Er ist harmlos, Juri. Nur ein bißchen übereifrig.«
    Arsenjew grunzte, inhalierte zwei kurze Stöße von seinem Asthma-Aerosol, schnallte den Gürtel ein Loch weiter und ließ seine Wampe dem Schreibtisch entgegensacken. Das Fett des Obersten war eine Art Tarnung: ein schwabbeliger, faltiger Kokon, hinter dem sich ein scharfer Verstand verbarg. Während andere, schlankere Männer stürzten, war Arsenjew unbehelligt weitergewatschelt – durch den kalten Krieg (KGB-Chef an den Botschaften in Canberra und Ottawa), durch Glasnost und den gescheiterten Putsch und den Zusammenbruch des Geheimdienstes, immer weiter, eingepanzert in die weiche, schützende Fleischhülle, bis er jetzt endlich beim Endspurt angelangt war: Ruhestand in einem Jahr, Datscha, Geliebte, Pension, und der Rest der Welt konnte sich getrost zum Teufel scheren. Im Grunde mochte Suworin ihn.
    »Also gut, Felix, was halten Sie von alldem?«
    »Der Zweck der Operation Mamantow«, sagte Suworin bedächtig, »besteht darin festzustellen, wie fünfhundert Millionen Rubel aus KGB-Fonds geschleust wurden, wo Mamantow sie versteckt hat und wie dieses Geld jetzt zur Finanzierung der antidemokratischen Opposition benutzt wird. Wir wissen bereits, daß er dieses Schmutzblatt der roten Faschisten finanziert…«
    »Aurora…«
    »Aurora. Und sollte sich noch herausstellen, daß er dieses Geld auch für Waffen ausgibt, dann liegt unser Interesse an ihm klar auf der Hand. Wenn er Stalin-Andenken kauft oder auch verkauft – nun, das ist widerlich, aber…«
    »Hier geht es nicht nur um Andenken, Felix. Hier handelt es sich… nun, das Notizbuch ist einigermaßen berüchtigt – die ›Legende der Lubjanka‹ –, es gibt eine Akte darüber.«
    Suworin hätte am liebsten laut aufgelacht. Das konnte der alte Mann doch unmöglich ernst meinen! Stalins Notizbuch? Als er jedoch den Ausdruck auf Arsenjews Gesicht sah, verwandelte er das Lachen rasch in ein Husten. »Tut mir leid, Juri Semjonowitsch… entschuldigen Sie… wenn Sie die Sache so ernst nehmen, dann nehme ich sie natürlich auch ernst.«
    »Lassen Sie das Band noch einmal laufen, Felix, seien Sie so gut. Mit diesen verdammten Maschinen bin ich noch nie klargekommen.«
    Er schob das Gerät mit einem behaarten, dicken Zeigefinger über den Schreibtisch. Suworin kam vom Sofa herüber, und sie hörten sich die Aufnahme zusammen an, wobei Arsenjew schwer atmete und an seinem dicken, fleischigen Doppelkinn zupfte, was er immer tat, wenn er Probleme witterte.
    »… ein Notizbuch mit schwarzem Wachspapierumschlag, das einmal dem Genossen Stalin gehörte…«
    Sie beugten sich immer noch über das Bandgerät, als Netto zurückkehrte – mit einer Gesichtsfarbe, die um drei Schattierungen blasser war als gewöhnlich –, um zu verkünden, daß er schlechte Nachrichten habe.
    Felix Stepanowitsch Suworin ging mit grimmiger Miene, und Netto immer an den Fersen, in sein Büro zurück. Es war ein langer Marsch von der Führungsetage im Westen des Gebäudes bis zur Operationszentrale im Ostflügel. Unterwegs mußten ihm mindestens ein Dutzend Leute zugenickt und ihn angelächelt haben, denn hier in den getäfelten und weißgefliesten Korridoren von Jassenewo galt der Major als Goldjunge, als der kommende Mann. Er sprach Englisch mit amerikanischem Akzent, hatte die wichtigsten amerikanischen Zeitschriften abonniert und besaß eine Sammlung von Platten mit modernem amerikanischem Jazz, die er sich zusammen mit seiner Frau anhörte, der

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