Aurora
schlimm wurde.«
»Wie schlimm konnte es denn werden?«
»Sehr schlimm.«
Er nahm die Lampe, wanderte herum und ließ das Licht in alle Ecken fallen. Nirgendwo konnte er etwas entdecken, das wie ein Werkzeugkasten aussah. Auf einer Werkbank stand eine Blechschale mit einer Drahtbürste, ein paar Stäben, einer kleinen Rolle Kupferdraht: Wozu war das alles gut? Kelsos Unwissenheit in technischen Dingen war beachtlich. Er hatte sie immer sorgfältig kultiviert.
»Hatte er selbst einen Wagen?«
»Das weiß ich nicht. Aber er hat immer welche für andere Leute repariert. Die haben ihm alles mögliche dafür gegeben.«
Er trat neben das improvisierte Bett, über dem irgend etwas glitzerte. »Sehen Sie sich das an«, rief er ihr zu und hob die Lampe, damit das Licht auf die Wand fiel. Stalins düsteres Gesicht blickte von einem alten Plakat auf sie herab. Daneben hing noch ein weiteres Dutzend Fotos des Generalsekretärs, Bilder, die aus Zeitschriften herausgerissen worden waren. Stalin nachdenklich dreinschauend an einem Schreibtisch. Stalin mit einer Pelzmütze. Stalin, wie er einem General die Hand schüttelt. Stalin tot und aufgebahrt.
»Und wer ist das hier? Sind Sie das?«
Es war offenbar ein Foto von Sinaida in Schuluniform, im Alter von ungefähr zwölf Jahren. Sie trat näher heran und zeigte sich verblüfft.
»Wer hätte das gedacht?« Sie lachte gezwungen. »Ich da oben, zusammen mit Stalin.«
Sie betrachtete das Bild noch einen Moment lang.
»Wir sollten langsam dieses Ding finden«, sagte sie und wendete sich von dem Bild ab. »Ich möchte so schnell wie möglich wieder hier raus.«
Kelso tastete mit dem Fuß eines der Dielenbretter ab. Es ruhte lose auf einem in die Erde eingelassenen Holzrahmen. Das ist es, dachte er. Das mußte das Versteck sein.
Sie machten sich gemeinsam an die Arbeit – immer von Stalin beobachtet –, stapelten die kurzen Bretter an der Wand und legten eine Arbeitsgrube frei. Sie war tief. In dem schwachen Licht wirkte sie wie ein Grab. Kelso hielt die Lampe über sie. Der Boden bestand aus Sand, war eben und festgestampft und hatte schwarze Ölflecken. Die Seitenwände waren mit alten Brettern verschalt, in die Rapawa Ablagen für Werkzeug eingebaut hatte. Kelso reichte Sinaida die Lampe und wischte sich die Hände am Mantel ab. Weshalb war er nur so verdammt nervös? Er setzte sich für einen Augenblick auf die Kante und ließ die Beine baumeln, bevor er sich vorsichtig hinunterließ. Er kniete auf dem Boden der Grube nieder, wobei seine Knochen knackten, und tastete in der feuchten Dunkelheit herum. Er berührte Sackleinen.
»Richten Sie das Licht hierher«, rief er zu ihr hoch.
Das rauhe Sackleinen ließ sich leicht entfernen. Darunter kam etwas Solides zum Vorschein, das in Zeitungspapier eingewickelt war. Er reichte es Sinaida hoch. Sie stellte die Lampe ab und wickelte eine Pistole aus. Sie konnte überraschend gut damit umgehen, fiel ihm auf, denn sie holte routiniert das Magazin heraus, kontrollierte es – es enthielt acht Schuß, wie sich herausstellte –, schob es wieder ein, klappte den Sicherungsriegel herunter und dann wieder hoch.
»Sie wissen, wie das Ding funktioniert?«
»Natürlich. Es ist seine. Eine Makarow. Als mein Bruder und ich noch klein waren, hat er uns beigebracht, wie man sie auseinandernimmt, reinigt und abfeuert. Er hat sie immer bei sich gehabt. Er hat gesagt, er würde jemanden töten, wenn es sein müßte.«
»Hübsche Erinnerung.« Er glaubte, draußen ein Geräusch gehört zu haben. »Haben Sie das gehört?«
Aber sie schüttelte nur den Kopf, völlig mit der Pistole beschäftigt.
Er ließ sich wieder auf die Knie herab.
Und da, in eine Öffnung hineingerammt, kam das rechteckige Ende eines Metallkastens, von dem Rost und getrockneter Schlamm abblätterten, zum Vorschein. Wenn man nicht wußte, wonach man suchte, hätte man ihn kaum entdeckt. Rapawa hatte ihn gut versteckt. Kelso packte den Kasten mit beiden Händen und zog.
Also, irgend etwas war schwer. Entweder der Kasten oder das, was darin war. Die Griffe waren festgerostet. Es war schwierig, ihn überhaupt richtig anpacken zu können. Kelso zerrte ihn in die Mitte der Grube und stemmte ihn hochkant. Dabei kam er mit dem Gesicht nahe an ihn heran. Er konnte den Geruch von verrostetem Stahl riechen; es schmeckte wie Blut in seinem Mund. Sinaida bückte sich, um ihm zu helfen. Etwas war merkwürdig: einen Moment lang bildete er sich ein, daß der Kasten ein gespenstisches
Weitere Kostenlose Bücher