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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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blaugrünes Licht ausstrahlte. Er spürte einen Schwall kalter Luft. Aber dann sah er, daß die Garagentür offenstand und im Türrahmen die Silhouette eines Mannes erschienen war, der sie beobachtete.
    Hinterher wurde Kelso klar, daß dies der entscheidende Moment gewesen war: der Zeitpunkt, in dem die Ereignisse endgültig aus dem Ruder liefen. Wenn er es nicht gleich begriff, so lag das daran, daß er in diesem Augenblick Wichtigeres zu tun hatte: Er mußte Sinaida daran hindern, R. J. O’Brian ein Loch in die Brust zu ballern.
    Der Reporter stand mit erhobenen Händen an der Garagenwand. Kelso glaubte im Grunde nicht, daß sie schießen würde. Aber eine Pistole war eine Pistole. Diese Dinger konnten auch versehentlich losgehen. Und die hier war alt.
    »Professor, tun Sie mir bitte einen Gefallen, und sagen Sie ihr, sie soll dieses Ding wegstecken.«
    Sinaida stieß sie ihm abermals gegen die Brust, und O’Brian hob stöhnend die Hände noch ein Stück höher.
    Okay, okay, sagte er. Es tue ihm leid. Er sei ihnen vom Flughafen aus gefolgt. Das sei weiß Gott nicht schwierig gewesen. Schließlich tue er nur seinen Job. Entschuldigung.
    Er blinzelte zum Werkzeugkasten. »Ist es das?«
    Kelsos erste Reaktion auf das Erscheinen des Amerikaners war Erleichterung gewesen; Gott sei Dank war es nur O’Brian, der ihnen von Scheremetjewo aus gefolgt war, und nicht Mamantow. Aber jetzt stand Sinaida da und drängte O’Brian mit der Waffe an die Wand.
    »Mund halten«, sagte sie.
    »Hören Sie, Professor, ich habe schon öfter gesehen, wie so ein Ding losgegangen ist. Und eines kann ich Ihnen versichern: Es richtet eine Menge Unheil an.«
    »Legen Sie sie hin, Sinaida«, sagte Kelso auf russisch. Es war das erste Mal, daß er sie mit Namen anredete. »Legen Sie die Waffe hin, und lassen Sie uns reden.«
    »Ich traue ihm nicht.«
    »Das tue ich auch nicht. Aber was bleibt uns übrig? Legen Sie die Waffe hin.«
    »Sinaida? Wer ist diese Frau? Kenne ich sie nicht von irgendwoher?«
    »Sie geht ins Robotnik.« Kelso sprach durch zusammengebissene Zähne. »Überlassen Sie die Sache mir.«
    »Ach, tatsächlich?« O’Brian fuhr sich mit der Zunge über die dicken Lippen. Im gelben Licht der Petroleumlampe sah sein breites und gutgenährtes Gesicht aus wie ein Halloween-Kürbis.
    »Ja, natürlich. Sie ist die Dame, mit der Sie letzte Nacht zusammen waren. Sie ist mir gleich bekannt vorgekommen.«
    »Mund halten«, wiederholte sie.
    O’Brian grinste. »Hören Sie, Sinaida, wir brauchen nicht miteinander zu konkurrieren. Wir können gemeinsame Sache machen. Das unter uns dreien aufteilen. Ich will nichts als eine Story. Sagen Sie ihr das, Fluke. Sagen Sie ihr, daß ich ihren Namen heraushalten kann. Sie kennt mich. Sie wird es verstehen. Schließlich ist sie eine Frau mit Sinn fürs Geschäft, stimmt’s, Darling?«
    »Was hat er gesagt?« Kelso übersetzte es ihr.
    »Njet«, sagte sie. Und dann, auf englisch, zu O’Brian:
    »Kommt nicht in Frage.«
    »Ihr beide«, sagte O’Brian. »Ihr bringt mich zum Lachen. Der Historiker und die Nutte. Okay, sagen Sie ihr folgendes. Sagen Sie ihr, sie kann sich entweder mit mir einigen, oder wir können eine Stunde oder zwei so hier herumstehen, und dann haben Sie die halbe Moskauer Presse auf dem Hals. Und die Miliz. Und vielleicht die Kerle, die den alten Mann umgebracht haben. Sagen Sie ihr das.«
    Aber Kelso brauchte nicht zu übersetzen. Sie hatte verstanden.
    Sie stand noch weitere fünfzehn Sekunden so da, dann runzelte sie die Stirn, legte den Sicherheitsriegel um und senkte langsam die Waffe. O’Brian stieß den Atem aus.
    »Weshalb tut sie das alles überhaupt?«
    »Sie ist Papu Rapawas Tochter.«
    »Ah.« O’Brian nickte. Jetzt war ihm alles klar.
    Der Werkzeugkasten stand auf dem Erdboden. O’Brian wollte nicht zulassen, daß sie ihn öffneten, jedenfalls nicht sofort. Er wollte den großen Augenblick festhalten – »für die Nachwelt und die Abendnachrichten.« Er verschwand, um seine Kamera zu holen.
    Sobald er draußen war, schüttelte Kelso eine Zigarette aus seiner halbleeren Schachtel und bot sie Sinaida an. Sie nahm sie und neigte sich ihm entgegen, schaute ihn unverwandt an, während er ihr Feuer gab und die Flamme sich in ihren dunklen Augen spiegelte. Vor weniger als zwölf Stunden, dachte er, wolltest du für 200 Dollar mit mir ins Bett steigen – wer zum Teufel bist du? »Woran denken Sie?« sagte sie.
    »An nichts. Sind Sie okay?«
    »Ich traue ihm nicht«,

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