Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Charité, Dienstag, 16.05.1995, 10.00 Uhr
Waren es Schatten oder waren ihre Kinnpartien
tatsächlich nicht rasiert. Alle schienen matt, ausgelaugt und übermüdet. Graue
Haut spannte sich über ihre Wangenknochen. Selten schaute Hanson in ernstere
Gesichter, als die, die ihm vom geteilten Bildschirm seines Laptops ansahen. Auf
der linken Bildschirmseite drängelten sich die Kollegen aus Kiel um die
Web-Cam, auf der rechten Seite die Mitarbeiter, die in Berlin noch
Hintergrundermittlungen nachgingen und sich in Schukows Leben eingruben. Sie
alle waren Malocher, erfüllten verbissen ihre Aufgaben, Tag und Nacht, manchmal
mehr als vierundzwanzig Stunden am Stück. Kein Wunder, dachte Hanson, dass alle
einen überarbeiteten Eindruck machten. Aber noch etwas anderes spiegelte sich
in ihren Gesichtern wider. War es etwa Sorge, sorgten sie sich seinetwegen,
etwa über die vorzeitige Krankenhausentlassung?
„Ich weiß, dass ihr euch um mich sorgt, aber
alle Uhren ticken weiter und ich weile wieder unter den Lebenden, mir geht es
gut und ich fühle mich wohl. Drum Leute, schminkt euch endlich diesen besorgten
Gesichtsausdruck ab.
Es entstand eine quälend lange Pause, keiner
sagte ein Wort. Komisch dachte Hanson, irgendetwas hat sie verändert. Oder war
er ein anderer geworden, war es das neue Medium, mit dem jetzt eine
koordinierte Kommissionsbesprechung über viele hundert Kilometer vonstatten
ging? Sicher ist es nur die neue Art der Kommissionsbesprechung, beruhigte sich
Hanson und hoffte, mit anderem Gesichtsaudruck von seiner Web-Cam erfasst zu
werden.
Trotz der anderthalb Tage, die er sich auf diese
Konferenzschaltung vorbereitet und die Bedienung des Programms geübt hatte,
beschlich ihn eine leichte Nervosität.
Die Pause dauerte an, die Stille war schwer zu
ertragen.
„Ich rufe Kiel“, haspelte Hanson los. Mist,
verdammter, ärgerte er sich. Ich rufe Kiel, was für ein Blödsinn. Wir sind hier
doch nicht bei einer TV-Reality-Show. Er räusperte sich, „habt ihr gegen
Schukow Munition sammeln können. Was gibt es Neues, können wir ihn an die Wand
nageln?“
„Ja, können wir. Erfreuliche Dinge haben sich
ergeben“, sprudelte Pelka los.
Na, endlich, der Bann schien gebrochen, dachte
Hanson.
„Wir haben die restlichen Pistolen im Keller der
Hopfenstraße sichergestellt. Alle waren im System mit Nummern zur Sachfahndung
ausgeschrieben“.
„Moment mal, Jürgen. Von welchen Pistolen ist
hier die Rede?“
„Na, von den Pistolen, die in Bremerhaven vor
einigen Jahren aus einem Container verschwanden. Das Verfahren ist seiner Zeit
gegen Long Tail Mangels Beweises eingestellt worden“.
„Wie seid ihr drauf gekommen, dass dieser
Mensch, wie auch immer er hieß, im Verdacht, stand den Diebstahl in Bremerhaven
ausgeführt zu haben? Es gab doch keine Akten mehr“.
„Chef, wir haben bei der Hausdurchsuchung neben
den Pistolen in seinen Unterlagen auch einen Einstellungsbescheid über den
Diebstahl gefunden“.
Hanson erinnerte sich an die Pressekonferenz.
Das kann doch alles nicht wahr sein, dachte Hanson verbittert, die Recherche in
den polizeilichen Computersystemen laufen wegen der vorgeschriebenen
Löschfristen ins Leere und haben somit die Festnahme dieses Typen verhindert.
Routinemäßig wäre der vermeintliche Pistolendieb ins Fadenkreuz der
Mordermittlungen im Klosterforst geraten, wenn, ja, wenn nicht seine
Kriminalakte in Bremerhaven vernichtet hätte werden müssen. Er wäre
festgenommen worden und säße sicher hinter Schloss und Riegel. Stattdessen liegt
er nun drei Klafter tief eingekuhlt auf einem Friedhof. Da hat sich wieder
einmal der Datenschutz selbst in den Schwanz gebissen aber andererseits die
Gerechtigkeit für einen Doppelmörder obsiegen lassen.
„Und was hat der Beschuss ergeben, Jürgen?“
„Nichts. Unsere Ballistiker vom LKA meinen, dass
die Waffen nicht beschossen werden müssen. Sie alle steckten noch jungfräulich
in der Originalverpackung mit unversehrter Versiegelung“.
„Gut, und was haben wir gegen Schukow?“
„Wir haben die Frau ermittelt, Chef, die den
Oberst vor dem Sonnenstudio angerempelt hat. Sie war sehr kooperativ und hat
uns ihre gesamte Oberbekleidung formlos überlassen. Die Folienabklatsche von
dieser Garderobe weisen diverse Überkreuzspuren mit der Jeansbekleidung des
Obersten auf, die wir im Amberasichergestellt haben. Unsere Eierköppe vom
Landeskriminalamt können an den Jeansfasern sogar das Waschmittel bestimmen mit
dem Schukow seine
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