Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Zahnschmerzen quälten
ihn mehr. Knöchelhoch lag schon der Schnee. Diverse, vereiste
Schuheindruckspuren zeichneten sich im Schnee deutlich ab, sie waren höllisch
glatt.
„Bloß nicht noch vor dem beabsichtigten
Winterurlaub ausrutschen und sich die Haxen brechen“, murmelte er in sich hinein
und hoffte, dass die Zahnbehandlung nicht so schmerzhaft sein würde wie vor
anderthalb Jahren.
Er hätte sich schon vor Wochen einen Termin von
seinem Freund Jörg, dem Zahnarzt, geben lassen sollen. Aber immer wieder kamen
dringende, dienstliche Angelegenheiten dazwischen. Nur zu gerne hatte er immer
die festgesetzten Behandlungstermine aus purer Angst verschoben. Nun aber waren
die Schmerzen nicht mehr auszuhalten. Nächtelang ließ ihn der verdammte untere
rechte Weisheitszahn nicht schlafen. Missmutig, mit Zahnschmerzen, ging er
jeden Morgen ins Büro. Seine Mitarbeiter litten unter seiner schlechten Laune,
waren so etwas nicht gewohnt. Insbesondere sein Stellvertreter, der pfiffige,
agile Hauptkommissar Jürgen Pellka, hatte dieser Tage viel zu erdulden. Obwohl
Pellka die Bearbeitung der letzten Leichensachen logisch und mit großer
Kompetenz durchermittelt hatte, fand Hanson immer wieder Kleinigkeiten, die er
ihm unter die Nase rieb und darauf bestand, weitere letztlich unnötige und
überflüssige Nachermittlungen in die Wege zu leiten.
Just hatte er die letzte Treppenstufe erreicht,
als sein Handy zu klingeln begann. Hanson sog die eisige Luft tief ein und
überlegte, ob er das Gespräch annehmen sollte. Es konnte nur seine Dienststelle
sein. Kein anderer kannte diese Handynummer. Ein kurzer Blick auf das Display
genügte und er wusste, dass der Anruf mit dem Tod eines Menschen zusammenhing.
Er zog seine Handschuhe aus, um den Knopf zu drücken, der die Verbindung zu
seiner Dienststelle herstellte. Er konnte den Anruf nicht ignorieren, seine
Leute brauchten ihn.
Kaum dass er sich meldete, quäkte die Stimme
seiner Sekretärin ihm aufgeregt ins Ohr. Er hatte sie sofort an ihrer
Fistelstimme erkannt. Ohne die Sätze vollständig zu beenden, versuchte sie ihm
klarzumachen, dass im Klosterforst in der Nähe der Bundesstraße 76 ein Mercedes
aus Bonn mit einer männlichen Leiche mittleren Alters von einer Gruppe
Forstarbeiter gefunden worden war. Der Anrufer habe behauptet, den Leichnam aus
der heutigen Bild-Zeitung zu kennen. Es solle sich um den Staatssekretär Dr.
Helmut Beyer aus dem Bundeswirtschaftsministerium handeln.
Geistesabwesend drückte Hanson den Klingelknopf
des Türöffners zu den Praxisräumen. Wie von Geisterhand öffnete sich die
Praxistür.
Beyer? Beyer? Wer ist oder war Staatssekretär
Dr. Beyer. Nun rächte sich seine Staatsverdrossenheit. Es rächte sich, dass er
kein politisches Interesse mehr hatte, keine Kolumnen, keinen Leitartikel oder
dergleichen mehr las. Die Politik in dieser Republik, insbesondere die Rechtspolitik,
machte ihn krank, nagte schon seit Jahren an seiner Einstellung zu diesem
Staat.
Seine Gedanken schweiften weiter ab.
Der von den 68ern gepredigte Marsch durch die
Institutionen ist inzwischen vollzogen, war Hanson sich sicher. Einige der früheren
Revoluzzer sitzen heute an den Hebeln der Macht und mästen sich in diesem
Establishment, das sie früher bis auf’s Blut bekämpften. Ihre Gesinnung, diesen
Staat umzukrempeln, haben diese Typen nicht abgelegt. Nur ihre Mittel haben
sich geändert, ihr Handwerkszeug ist subtiler geworden, mit denen sie diese
Republik peu à peu verändern wollen. In der Justiz haben die 68er, die früher
die Gewalt in die Straßen getragen haben, Schlüsselpositionen besetzt, mit der
Folge, dass Justitia gegenüber Schwerverbrechern zuviel Milde walten lässt. Die
Metapher, Nachsicht mit den Wölfen, hat immer ein paar tote Lämmer zur Folge,
haben die verantwortlichen Richter und Staatsanwälte in dieser Justiz noch
nicht verinnerlicht. Täter, die nicht oder nicht sofort verurteilt werden,
produzieren immer mehr Opfer, manchmal sogar Tote. Diese Justiz ist von einem
viel zu optimistischen Ethos durchdrungen und will einfach nicht wahrhaben,
dass die Resozialisierung wenig erfolgreich ist.
Die unterschiedlichsten Formen der Organisierten
Kriminalität haben sich bereits als Machtfaktoren in dieser Gesellschaft fest
etabliert. Kriminalität ist in diesem Staat zu einem kalkulierbaren Risiko und
zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. In der Wirtschaft ist Korruption und
Bestechung zu einem Teil der Geschäftspolitik geworden. Hemmungslos
Weitere Kostenlose Bücher