Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
worden, der Kordon schien nicht mehr so eng. Mehr als fünfzig
Meter standen die Beamten auseinander.
Dann hatte er die Abzweigung nach Rönne
erreicht. Nach ungefähr drei weiteren Kilometern glaubte er die Einmündung des
Waldweges in seinem aufgeblendeten Scheinwerferkegel zu sehen.
Vorsichtig bremste er das Fahrzeug ab. Wieder
zog der Wagen stark nach rechts. Gleich heute früh würde er über Wolff einen
anderen Wagen für die Mordkommission beantragen. Ach ja, und für Gerber einen
Termin beim Polizeipsychologen reservieren lassen. Vorsichtig, ganz vorsichtig
müsste er das seinem Freund verklickern. Zur Zeit schien Gerber ja wieder
normal. Hanson aber wusste, sobald sein Freund wieder zur Ruhe kommen würde,
waren neue Depressionen zu befürchten.
Hinter dem einmündenden Waldweg parkte Hanson
den Wagen. Mittlerweile hatte er mehr als dreißig Stunden nicht geschlafen, war
in dieser Zeit ständig von Zahnschmerzen geplagt, immer auf Hochtouren gelaufen
und hatte sich nur von lauwarmem Kaffee ernährt. Er war ausgelaugt und kaum
fähig, sich zu konzentrieren. Hier in der Einsamkeit, in der morgendlichen
Kälte, hoffte Hanson sich zu regenerieren, hoffte, wieder einen klaren Kopf zu
bekommen. Keine Kollegen, keine Fragen, die er konzentriert beantworten musste.
Hier konnte er den Tatort in sich aufnehmen, konnte mit ihm verschmelzen und
Eins werden, konnte sich in die Rolle des Täters hineindenken.
Hanson stieg aus. Es hatte aufgeklart. Keine
Wolke, kein Laut drang durch die Nacht, absolute Stille. Vom Mondlicht
versilbert hoben sich die Baumwipfel gegen den Himmel ab, der sich mit Sternen
gefüllt hatte. Lange würden sie nicht zu sehen sein, im Osten färbte bereits
trübes Dämmerlicht den Horizont. Der Zuckerguss aus Eis und Schnee, der den
Wald in ein Wintermärchen verwandelt hatte, begann zu schmelzen. Es taute stark.
Schwer lastete nun der nasse Schnee auf den Zweigen und Ästen. Ohne Unterlass
tropfte es von den Bäumen. Von den schweren Schneelasten auf den Bäumen waren
nur noch klägliche Reste vorhanden.
Auf dem verharschten Schnee bewegte er sich wie
ein angeknockter Boxer, der gerade wieder auf die Beine gekommen war. Die kalte
Luft war erfrischend und schärfte seine Sinne. Der Schnee knirschte unter
seinen Füßen. Deutlich waren noch die Rangierspuren zu sehen, wo das
Fluchtfahrzeug gewendet worden war. Hanson ließ den Ort auf sich einwirken und
spürte die Situation, wie der Fahrer des Fluchtwagens auf seinen Komplizen
wartete und vor Nervosität eine Zigarette nach der anderen rauchte. Amateure,
dachte Hanson, rauchen und pissen wie nach einem zünftigen Besäufnis. Der oder
die Täter haben offensichtlich keine Tatortnachsorge betrieben. Ein großer
Fehler.
Sollte sich auch hier die Tatsache bestätigen,
dass auch dem klügsten Täter in einem komplexen Tatablauf Fehler unterlaufen?
Hanson wusste, Gerber würde diesen Fehler
gnadenlos ausschlachten und alle Spuren zum Sprechen bringen. Hanson schaute
zur Uhr, fünf Uhr dreißig.
Jenseits der Kreisstraße waren in der Dämmerung
des neuen Tages die Rauchfahnen aus den Schornsteinen der Häuser zu sehen.
Vereinzelt fiel Licht von Frühaufstehern durch die Fenster.
Zwei Teams für Hausbefragungen mussten
eingeplant werden, so langsam, fürchtete Hanson, waren alle seine Mitarbeiter
verbraten, keine großen Reserven mehr vorhanden, auf die er zurückgreifen
konnte.
Um elf Uhr war die Besprechung angesetzt, dann
würde er eine endgültige Aufgabenverteilung vornehmen.
Ein nochmaliger Blick zur Uhr verriet ihm, dass
er nicht vor sieben frühmorgens zu Hause sein konnte. Seit mehr als dreißig
Stunden war er nun schon auf den Beinen. Duschen, Zähne putzen, frühstücken,
vielleicht blieb noch ein wenig Zeit für ein kleines Nickerchen, bevor er zum
Zahnarzt gehen musste. Seine Schmerzen wurden immer heftiger. Er hatte alles
gesehen, relevante Spuren nicht mehr entdecken können. Der langsam quälende Druck
auf seine Blase, ließ so etwas wie Verständnis für die Täter in Hanson
aufkeimen. Auch er musste sich dringend erleichtern. An einem Baum öffnete er
mit steifgefrorenen Händen seine Hose und gab sich dem zweitgrößten Vergnügen
eines Mannes hin. Erleichtert atmete er durch. Jetzt aber wollte er nur noch
eins, nach Hause. Er brauchte ein Bad, eine Rasur und mindestens zwölf Stunden
Schlaf, fürchtete aber, nur mit einem Pott Kaffee vorlieb nehmen zu müssen.
Im Wagen auf der Rückfahrt fiel ihm siedend heiß
ein, dass
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