Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
die
Leviten zu lesen. Immer alle Bälle gleichzeitig und persönlich zu jonglieren,
genau, das waren seine Worte. Hanson erkannte, Gerber hatte ins Schwarze
getroffen.
Seine Leute, war Hanson sich bewusst, haben sich
sicher mit großer Professionalität auf dem gesamten Anwesen umgesehen. Das
Durchsuchungsprotokoll wies außer der wasserdichten Kiste unter dem Bootssteg
keine Auffälligkeiten aus. „Was willst du eigentlich hier“, fragte Hanson sich
und dachte noch über die Frage nach, als sich in ihm eine lange vermisste Ruhe
zögernd und unerwartet zurückmeldete. Er war froh, die Fahrt hierher gemacht zu
haben. Kritisch versuchte er die Motivation dieser Fahrt zu hinterfragen. Was
hat ihn hierher getrieben? Entsprang der Drang einem Reflex seines
Unterbewusstseins, wollte es den tödlichen Unfall verarbeiten, gar testen, wie
er Schuld und Sühne verarbeiten oder ignorieren sollte? Interessant wie die
Psyche das Handeln eines Menschen steuert, überlegte Hanson noch, als ein Wagen
neben ihm anhielt.
„’tschuldigung, Herr Hauptkommissar, ich war
noch zu einem Kleinviehdiebstahl gerufen worden. Hat ein wenig länger gedauert“,
lächelte ihm eine junge Polizistin pflichtschuldig hinter dem Lenkrad ihres
Dienstwagens zu.
Nanu, eine junge Kollegin, sehr junge Kollegin,
der noch einige Aknepickel im Gesicht standen und die kaum der Pubertät
entflohen sein dürfte. Nicht schlecht, dachte Hanson, ein völlig freies, durch
den polizeilichen Alltag unverdorbenes Denken, erhoffte sich Hanson. „Kein
Problem. Wenn Sie die Schlüssel haben, können wir mit der Nachschau sofort
beginnen“.
„Wir?, stieß sie säuerlich hervor, „ich habe
keine Zeit. Ich muss noch ... “
„Frau Kollegin, Sie brauchen sich nicht in
Einzelheiten zu ergehen“, schnitt Hanson ihr unterkühlt das Wort ab. „Ich
brauche Sie als Zeugin. Ein Hinweis auf die Strafprozessordnung erübrigt sich
doch bei ihnen. Oder ist dergleichen auf der Polizeischule nicht gelehrt
worden?“
Eine Verlegenheitsröte stieg ihr von der
Halskrause bis zum Haaransatz empor. Sie musste sich wieder fühlen wie auf der
Schulbank, die sie bis vor Kurzem gedrückt hatte und vom Lehrer beim
Abschreiben erwischt wurde, dachte Hanson amüsiert. „In Ordnung“, murmelte sie
halblaut und verließ mit einem hölzernen Lächeln ihren Wagen, „ich werde der
Nachschau beiwohnen“. Mit gestrecktem Arm, als wollte sie sagen, dann mach doch
deinen Scheiß alleine, hielt sie ihm die Schlüssel entgegen.
Na, entweder ist die Kleine stur oder sie kann
sich nicht unterordnen, dachte Hanson, und sah sich augenblicklich in eine Zeit
zurückversetzt, als er sich als Jungspund genauso widerspenstig gegenüber
seinen damaligen Vorgesetzen verhalten hatte. „Wenn Sie mir jetzt noch das Tor
und die Haustür aufschließen, steht einer gedeihlichen Zusammenarbeit nichts
mehr im Wege“, sagte Hanson und schaute sie dabei herausfordernd an. Möglich,
dass, wenn ihr Interesse geweckt wird, sie sich mit Neugier bei der Nachschau
beteiligt, dachte Hanson. „Damit Sie wissen, worum es mir geht, erkläre ich
Ihnen in wenigen Worten den zugrunde liegenden Sachstand“. Hanson begann mit
den Morden im Klosterforst, erzählte vom getöteten Staatssekretär und vom
erschossenen Kollegen Bachner. Er wunderte sich, dass ihm der Wildunfall, dem
Rütter zum Opfer gefallen war, ohne Gewissensqualen über die Lippen ging.
Sie hörte aufmerksam und fasziniert zu. Als sie
dann das Tor behände aufschloss, wusste Hanson, ihre Wissbegierde und ihr
Interesse waren geweckt. “Was hoffen Sie zu finden, Herr Hauptkommissar, wie
kann ich helfen?“
„Gute Frage, Frau Kollegin, ich weiß es selber
nicht. Aber ich weiß, dass man immer etwas findet. Schwierig ist nur, die
Zusammenhänge zur Tat zu knüpfen. Und da kommen Sie ins Spiel, Frau Kollegin.
Bei uns alten Hasen stapeln sich die Erfahrungen aus Mordermittlungen haushoch
und versperren uns viel zu oft die Sicht auf das Wesentliche. Wir sind dann
nicht mehr frei im Denken, wir sind durch die gesicherten und ermittelten
Fakten und Spuren oft indoktriniert, was manchmal unseren Blick gewaltig trübt.
Außenstehende, mit der Sache nicht betraute Kollegen sehen vieles mit anderen
Augen, …“
Ihre Unerfahrenheit empfand sie oft als Makel.
Heute aber klang ihre Unkenntnis wie eine Auszeichnung in ihren Ohren. Dieser
Hauptkommissar aus Kiel wurde ihr immer sympathischer.
„ … trauen Sie sich, spielen Sie die
Oberverdachtschöpferin, wenden
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