Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
ihm die Morde
beweisen. Nein, der Mossad hatte seine Hände nicht im Spiel. Niemals! Dieser
Dienst hinterlässt keine Spuren. -- Es sei denn, -- genau -- es sei denn, ein
schneller polizeilicher Erfolg lag in der taktischen Kalkulation des
israelischen Dienstes. Zeigte doch die Erfahrung, dass sich das gesamte mediale
Interesse rasch verlor, wenn ein Täter ermittelt war und einsaß. Und wenn der
gedungene Mörder nicht wusste, für welchen Dienst er sich hat missbrauchen
lassen, würde er keinen Hinweis auf seinen Auftraggeber machen können. Kein
Mensch würde Argwohn gegen den Mossad hegen. Schon gar nicht in dieser Republik
mit ihrer historischen Verantwortung für Israel. Hanson fürchtete, wenn der
Handlanger der Morde ermittelt war, dann, ja dann würde es schwierig werden,
die Hintermänner zu ermitteln. Und wenn tatsächlich hinter allem der Mossad
stand, wäre er völlig chancenlos, den leitenden Führungsoffizier dieses
Dienstes für diese Morde jemals zur Verantwortung ziehen zu können. Sollte sich
aber widererwarten ein mutiger Staatsanwalt finden und Ermittlungen gegen den
israelischen Geheimdienst einleiten wollen, würde er von der Politik
zurückgepfiffen werden. Ohne ein politisches und staatsanwaltschaftliches Okay
konnte nichts ermittelt werden, egal wie viele Beweise für die Schuld eines
solchen Führungsoffiziers vorlagen.
Der angestimmte Kammerton „A“ riss Hanson in die
Wirklichkeit zurück. Das Polizeiorchester begann, „Ich hatt’ einen Kameraden“
zu spielen. Dann setzte leise ein Trompetensolo ein, wurde lauter und überwog
schließlich bis zur vollständigen Dominanz über das Orchester das ganze
Musikstück.
Dieser musikalische Regieeinfall ließ Hanson
erschaudern. „Ich hatt’ einen Kameraden“ wirkte wie ein Schlüsselreiz, der ihn
jäh wieder an seine Schuld, an seine Verantwortung erinnerte und in Zukunft
wohl auch immer wieder daran erinnern würde. Der Glaube und die Hoffnung,
emotional besser mit der Schuld des Wildunfalls umzugehen, waren wieder
verflogen. Er sah sich abermals die Unfallstelle passieren und nach Bosau zum
Chalet fahren. Aufmerksam horchte er in sich hinein. Sein Herz begann erneut
heftig zu hämmern.
Eisige Luft strömte in die kleine Kapelle,
Hanson fand sich in der Realität wieder. Sargträger schoben auf einer Lafette
die beiden Särge ins Freie zu den geöffneten Gräbern. Zögernd setzte sich die
Trauergemeinde in Bewegung. Die Angehörigen schritten durch ein Spalier von
Trauergästen und nahmen die vielen Beileidsbekundungen entgegen. Wolff sprach
mit den Angehörigen, sie lächelten gequält zurück, kaum dass sie Wolffs Worte
wahrgenommen hatten. Hanson hörte förmlich die abgedroschenen Phrasen: Kopf
hoch, das Leben geht weiter, ruf an, wenn du Hilfe brauchst, sei stark, die
Kinder brauchen dich jetzt mehr denn je ...“, und so weiter und so fort. Er verharrte,
er mochte sich nicht einreihen und sich dem Trauerzug schon gar nicht
anschließen, er hatte kein Bedürfnis, dies zu tun. Auf diesen letzten Gang
konnte Hanson seine beiden Kollegen nicht begleiten, nicht in seiner jetzigen
Verfassung. Zu sehr war er innerlich aufgewühlt. Seine oft zur Schau gestellte
beherrschte Fassung hätte er an den Gräbern nicht mehr wahren können. Bläser
des Musikkorps spielten an einem der offenen Gräber noch eine Sonate von
Chopin, als Hanson mit wenigen Trauergästen den Friedhof verließ. Wolffs
Trauerrede wiederholte sich in seinem Kopf, dröhnend hörte er die Stimme seines
Präsidenten und sah wie in einer Endlosschleife die Wildsau auf der
Kühlerhaube, sah die Frontscheibe bersten, sah wie die Hufe der Bache Rütters
Kehlkopf trafen. Zu sehr kochten seine Emotionen hoch, als dass er Rebecca sah,
die vor der Kapelle auf ihn wartete.
Schneidend kalt war es. Hanson schlug den
Mantelkragen hoch, zog seinen Hut tiefer in die Stirn und vergrub seine Hände
in die Taschen. Durch die Eichhofstraße und über den Eichkamp waren es zu
seinem Büro knapp zwei Kilometer.
Kapitel 18
Kiel, Polizeipräsidium, Dienstag, 04.04.1995,
18.20Uhr
Als der Tag im Westen zu schwinden begann und
sich langsam die Dunkelheit über Kiel senkte, saß Hanson wie so oft nach
Hellens Tod immer noch in seinem Büro, allein. Seine Kollegen genossen schon
seit Stunden den Feierabend. Hanson aber liebte dieses Alleinsein, diese Ruhe,
keine störenden Telefonanrufe. Schwierige Fälle ließen sich in dieser Klausur
von allen Seiten beleuchten und hinterfragen. Oft
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