Aurora Komplott (Thriller) (German Edition)
Streifenwagen zu.
Aus der Ferne war das Auf- und Abschwellen eines rasch näherkommenden
Martinshornes zu hören. Schon bog mit quietschenden Reifen ein Gruppenwagen von
der Ringstraße kommend in die Hopfenstraße ein. Der Nieselregen hatte sich inzwischen
zu einem stattlichen Landregen ausgewachsen. Regen und cirka drei Grad Celsius
Außentemperatur, ein ausgesprochen scheußliches Wetter. Gut, dachte Hanson, die
Gaffer werden um so schneller flüchten und das Feld räumen.
Laute Kommandos hallten durch die
Straßenschlucht. Der Gruppenwagen hatte angehalten, der halbe Zug
Bereitschaftspolizisten war abgesessen und formierte sich noch, als schon „die
Straße räumen“ befohlen wurde.
Endlich mal Schutzleute, die ihr Handwerk
verstehen und überhaupt keinen Zweifel an ihrem Auftrag bei den Neugierigen
aufkommen lassen, erfreute sich Hanson. Nullkommanix war die Straße geräumt,
der Eingang zur Hausnummer 4 frei von Gaffern.
Hanson benutzte nicht den Aufzug, er wollte
einen Eindruck vom Treppenhaus gewinnen.
Als Kriminalbeamter und Leiter der
Mordkommission hat er alle Grenzen des menschlichen Handelns kennengelernt, war
Mordopfern schon hundertfach begegnet und kannte den Tod in allen seinen
Manifestationen. Hatte er doch Opfer in der Agonie erlebt und exhumierte
Leichen gesehen, hatte madenbefallene Kadaver geborgen und mumifizierte
Leichname sichergestellt, hatte Tote in der autolytischen Auflösung in
Matratzen einsickern sehen und auf Kindergröße geschrumpfte Brandleichen
identifiziert.
Stets ging das Sterben mit schrecklichen
Schicksalen einher, stets war er damit verwoben. Die Achtung vor der eignen
Spezies, der menschlichen Rasse, war ihm dabei abhanden gekommen.
Hanson hatte es aufgegeben, die vielen Opfer von
Gewaltverbrechen zu zählen. Er hatte gelernt, mit den Bildern in seinem Kopf zu
leben, und verhindert, dass sie sich dort festsetzten. Der Tod war für Hanson
ein wesentlicher Teil seines Berufs und somit ein vertrauter Geselle geworden,
der aber nie die Schutzmauer, die Hanson aufzubauen verstanden hatte,
durchbrechen konnte. Nie hatten die Bilder eine Chance, in seine Träume zu
kriechen. Es sei denn, der Tod griff nach einem aus seinem näheren Umfeld, wozu
die zwei toten Kollegen gehörten. Das ging immer unter die Haut, das war belastend.
Belastend wie auch jetzt der Leichengeruch. Zunächst kaum wahrnehmbar,
verstärkte er sich mit jeder Treppenstufe, die Hanson höher stieg. Seine
Phantasie brauchte er nicht zu bemühen, er wusste, was ihn erwartete, er kannte
die Bilder der in Fäulnis übergehenden Leichen. Leichte Übelkeit beschlich ihn,
als ihm auf der vorletzten Halbetage der Leichengestank immer süßlicher in die
Nase drang. Es war der süßliche Atem des Todes, der Geruch von beginnender
Verwesung, der in alles eindringt und sich im Kopf als Erinnerung verewigt.
Gemeine Schmeißfliegen werden durch den Gestank zur Eiablage zuhauf anlockt.
Der Ei- und Lavenbefall eines Kadavers war für die Entomologen immer eine
Fundgrube, um relativ genau die Todeszeit zu errechnen. Mit genauer Analyse der
Insektenaktivität auf jedem Kadaver bestimmten die Entomologen die
Entwicklungsstadien der Larven und der geschlüpften Tiere und rechneten zur
ersten Eiablage zurück. Diese simple Methode ergab eine Genauigkeit zur
Todeszeitbestimmung von plus minus zehn Stunden. Immer das gleiche Spiel,
dachte Hanson, wir, die Guten, folgen dem Bösen, Stufe für Stufe, Schritt für
Schritt.
Auf jeder Etage hielten Polizisten stramm Wache.
Ihnen stand das Grauen ins Gesicht geschrieben. Es waren wohl die ersten Mordopfer
in ihrer Polizeilaufbahn. Aber sie hielten Wache, ließen keine Bewohner aus
ihren Wohnungen in den Hausflur treten.
„Es gibt überhaupt keinen Zweifel“, hörte Hanson
auf der dritten Zwischenetage die Stimme seines Freundes Gerber, „die Leute
sind alle vergiftet worden. Klassische Anzeichen, alle haben noch in der Agonie
kurz und heftig gekrampft, als hätten sie keine Luft mehr bekommen. Die Leichen
werden geborgen, nicht durch die bei uns unter Vertrag stehenden Bestatter,
sondern durch die Feuerwehr in Schutzanzügen. Dann lasse ich den Tatort
versiegeln“. Gerbers Ton ließ keinen Widerspruch aufkommen. „Bevor wir nicht
wissen, welches Gift hier zur Anwendung gekommen ist, ob es dagegen ein
Antitoxin gibt und wie das Gift in die Körper der Opfer gelangt ist, bleibt der
Tatort versiegelt. Alles andere wäre für uns zu gefährlich. Die Toxikologen und
die Forensiker
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