Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
entsetzt an. »Das waren doch nicht etwa Sie, Tom? Haben Sie ihm das Ding
    womöglich in den Mund gestoßen?«
    »Wenn ich es angefasst hätte, hätte ich jetzt keine Finger mehr. Nein, die Peitsche hat selbstständig gehandelt. Gaffney war ihr am Ende sogar noch behilflich.«
    »Ich verstehe kein Wort. Wie in aller Welt käme er
    dazu?«
    »Er hatte kaum eine andere Wahl. Es ging alles sehr
    langsam und präzise. Haben Sie jemals gesehen, wie eine Schlange ein Ei verschluckt? Die Peitsche hat ihm die Schnur in den Mund gesteckt und sie dann bis in den Magen vorge-schoben. Sie wissen doch, wie der Verhörmodus bei diesen Waffen funktioniert: Die Schnur sucht sich die großen Organe und droht, sie von innen zu zerschneiden.«
    »Was heißt hier: Verhörmodus? So etwas gibt es nicht.«
    »Jetzt schon. Es ist eine der neuen Funktionen, die Gaffney in den Typ C einbauen ließ. Der richtige Name klingt natürlich harmlos: erweiterte Kooperationsförderung oder so ähnlich.«
    »Er hätte um Hilfe rufen können.«
    Dreyfus schüttelte den Kopf. »Aussichtslos. Die Peitsche hätte ihn in sechs oder sieben Stücke geschnitten, bevor er seinen Namen hätte in sein Armband sprechen können.«
    »Aber wieso war er ihr auch noch behilflich, ihr Werk zu vollenden?«
    »Sie hat ihm Schmerzen zugefügt und ihn wissen lassen,
    dass sie wirklich unangenehm werden könnte, wenn er sich den Griff nicht selbst in den Mund schöbe.«
    Baudry betrachtete Gaffney, als wäre ihr ein Licht auf-
    gegangen. Der Griff einer Hundepeitsche vom Typ A oder B
    wäre zu dick gewesen, um in eine menschliche Kehle zu
    passen. Aber beim Typ C war der Schaft dünner, glatter und alles in allem bedrohlicher. Wenn Gaffney eine Hundepeitsche in seinem Schlund stecken hatte, wäre das natürlich eine Erklärung für seine steife Haltung und dafür, dass er die ohnehin schon strapazierte Luftröhre durch Sprechen nicht noch mehr belasten wollte.
    »Wir müssen die Peitsche entfernen«, sagte sie.
    »Ich glaube nicht, dass sie das will«, sagte Dreyfus.
    »Sie hat nichts zu wollen. Sie ist ganz offensichtlich defekt.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher.« Dreyfus ließ den Blick über die Anwesenden und den Tisch mit den Dokumen-ten und Notepads schweifen. »Aber vielleicht hat Gaffney zu dieser Frage auch eine Meinung. Er kann zwar gerade
    nicht sprechen, aber er kann seine Hände benützen. Nicht wahr?«
    Gaffney trat von einem Fuß auf den anderen. Seine Augen waren groß wie Eier und drohten aus den Höhlen zu springen. Seine Wangen waren knallrot. Ein winziges Zucken
    seines Kopfes war wohl als Nicken zu verstehen.
    »Ich denke, er braucht etwas zum Schreiben«, sagte Dreyfus. »Kann ihm jemand ein Notepad und einen Eingabestift reichen?«
    »Sie können meins benützen«, sagte Baudry und schob
    das Gerät über den Tisch. Einer der Analysten nahm das
    Pad, zog den Eingabestift heraus und reichte beides an Gaffney weiter. Der hob die Arme und beugte sie so quälend
    langsam, als hätte man ihm die Knochen aneinanderge-
    schweißt. Seine Hände zitterten. Er ergriff das Notepad mit der Linken und tastete mit der Rechten so ungeschickt nach dem Stift, dass der zu Boden fiel. Der Analyst kniete nieder, hob ihn auf und legte ihn behutsam in Gaffneys Handfläche.
    »Ich begreife nicht...«, begann Baudry.
    »Sagen Sie ihnen, was mit Clepsydra passiert ist«, ver-
    langte Dreyfus.
    Gaffney kratzte mit dem Eingabestift über die Schreib-
    fläche des Notepads. Seine Hand bewegte sich wie unter
    Schmerzen, kindlich unbeholfen, als hätte er nur selten einen Stift gehalten, geschweige denn damit geschrieben.

    Aber er brachte mit mühsamen Strichen halbwegs lesbare
    Buchstaben zustande.
    Dann schlurfte er bis zur Tischkante und ließ das Note-
    pad fallen.
    Baudry hob es auf und studierte die Krakel. »Ich habe sie getötet«, flüsterte sie. »Das steht da: >Ich habe sie getötet.«< Sie schaute zu Gaffney auf. »Ist das wahr, Sheridan? Haben Sie die Gefangene wirklich getötet?«
    Wieder dieses Kopfzucken, so unmerklich, dass es den
    versammelten Oberpräfekten entgangen wäre, wenn sie nicht darauf gewartet hätten.
    Sie gab ihm das Notepad zurück. »Warum?«
    Wieder kritzelte er eine Antwort.
    »>Wusste zu viel<«, las Baudry. »Wusste zu viel worüber, Sheridan? Welches Geheimnis musste durch ihren Tod geschützt werden?«
    Wieder kratzte der Stift über das Pad. Gaffneys Zittern wurde schlimmer, und er brauchte für ein Wort länger als beim letzten Mal

Weitere Kostenlose Bücher