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Aurora

Aurora

Titel: Aurora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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zurasen sehen, bevor es ihnen die Augen in den Höhlen verbrannte.
    Sie hatten, wenn auch nur für einen Moment, erkannt,
    was mit ihnen geschah.
    »Status, Captain Pell«, verlangte Aumonier.
    »Nach ersten Ergebnissen scheint die Produktionsanlage
    vollständig zerstört zu sein. Die Bellatrix meldet kleinere Schäden, aber keine zusätzlichen Opfer. Die Wahrscheinlichkeit für weitere Überlebende ist... gering.«
    »Das hatte ich erwartet«, sagte Aumonier. Es klang un-
    endlich resigniert. »Zerstören Sie auch den Rest des Habitats, Captain. Ich möchte nicht, dass die Käfer es als Brü-
    ckenkopf benützen, selbst wenn sie keine neuen Kopien
    von sich mehr anfertigen können.«
    Dreyfus fühlte sich unter der Last des Geschehens wie in einem Schraubstock. Seit er zum letzten Mal mit den Augen gezwinkert hatte, hatten fünfunddreißigtausend Menschen aufgehört zu existieren. Die Zahl war ebenso unvorstellbar wie die neunhundertsechzig Opfer bei der Zerstörung von Ruskin-Sartorius. Aber er hatte die Gesichter der Menschen in der Andockröhre der Spindel gesehen, das unaussprech-liche Entsetzen darin, als sie erkannten, dass die Luft sie ins All reißen und sie dort unter Qualen sterben würden, wenn ihnen die Lungen zu kalten, harten Schalen gefroren, kurz bevor ihr Herz zu schlagen aufhörte. Das Gesicht einer Frau mittleren Alters stand ihm vor Augen, obwohl sie nur eine von vielen in der Röhre gewesen war. Sie hatte geradewegs in die Kamera geschaut, hatte ihn - so schien es ihm jetzt -
    direkt angesehen, ruhig, flehentlich und zugleich voller Würde, als glaube sie fest daran, dass er etwas tun würde, um ihr zu helfen. Er wusste nichts von dieser Frau, kannte nicht einmal ihren Namen, aber in seiner Vorstellung vertrat sie jetzt all die guten und ehrbaren Bürger, die soeben ausgelöscht worden waren. Er brauchte dieses Bild nicht mit fünfunddreißigtausend zu multiplizieren. Der Verlust eines anständigen Bürgers war Schmach genug. Und dass Panoplia ihren Tod herbeigeführt hatte, konnte seinen Abscheu nur noch steigern.
    Was jedoch nicht hieß, dass Jane unrecht getan hätte.
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so eine Entscheidung treffen müsste«, sagte sie. »Und ich weiß noch nicht einmal, ob ich nicht soeben das schlimmste Verbrechen unserer Geschichte begangen habe.«
    »Das haben Sie nicht. Sie haben richtig entschieden.«
    »Ich habe diese Menschen getötet.«
    »Sie haben nur Ihre Pflicht getan. Sie haben an die Mehrheit gedacht.«
    »Aber ich habe sie nicht gerettet, Tom. Ich habe ihnen
    nur Zeit erkauft.«
    »Dann sollten wir diese Zeit nutzen, nicht wahr? Zumin-
    dest das sind wir den Bürgern der Spindel schuldig.«
    »Ich denke immer wieder: Was ist, wenn ich mich irre?
    Wenn sie unter Auroras Herrschaft tatsächlich ein besseres Leben hätten?«
    »Die Bürger haben uns die Aufgabe übertragen, sie zu beschützen, Jane. Und das haben wir soeben getan.«
    Jane Aumonier sagte nichts. Gemeinsam sahen sie zu,
    wie Captain Pell den Rest des Habitats zerstörte. Nachdem man nun keine Rücksicht mehr auf Überlebende zu nehmen brauchte, waren die Raketen auf höchste Sprengkraft eingestellt. Als sie explodierten, blieb von der Spindel nichts mehr übrig.
    Es mochte Einbildung sein, aber Dreyfus glaubte zu sehen, wie Aumonier sich ein wenig entspannte, als endlich auch die letzten Spuren ihrer Tat verwischt waren.
    »Wissen Sie, was das Schlimmste ist?«, fragte sie.
    Dreyfus schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Das Schlimmste ist, dass wir mit dem Komastaat ebenso
    verfahren müssen. Wenn dieser Tag zu Ende ist, kann ich von Glück reden, wenn ich weniger als hunderttausend Tote auf dem Gewissen habe.«
    »Nicht Sie haben sie auf dem Gewissen«, erwiderte Drey-
    fus, »sondern Aurora. Das dürfen Sie niemals vergessen.«
    Sie meldete sich wenig später. Die Übertragung lief über einen sicheren, Panoplia vorbehaltenen Datenkanal, der
    auch aktiv blieb, als die öffentlichen Netze verstummten und die Bürger aus dem großen Abstraktionstraum gerissen wurden. Das Signal wurde beim Eingang aufs Gründ-
    lichste geprüft, aber man fand weder versteckte unterschwellige Einflüsse noch eingebettete Waffen. Nach Rücksprache mit dem Generalpräfekten entschied man, es könne nicht
    schaden, das Bild den im Taktikraum versammelten Ober-
    präfekten zu zeigen.
    Zu sehen war ein Mädchen: eine Kindfrau, die in präch-
    tigen Brokatgewändern auf einem Thron saß. Das geschei-
    telte Haar war

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