Aurum & Argentum (German Edition)
Hain. Nur der Wind wagte es, leise in den Wipfeln zu wispern. Nicht einmal die Bäume selbst wagten miteinander zu tuscheln. Lautlos reihten sich die Laubgehölze aneinander, unter denen verdächtig viele Erlen weilten. Ein furchtbar schlechtes Gewissen plagte Flux, er ahnte, dass sein Bruder sehr enttäuscht von ihm sein musste.
„ Ist ja still wie auf dem Friedhof!“, beschwerte sich Calep schon sehr bald. „Haben wir denn gar nichts zu plaudern? Sogar unser Minikobold ist bei der Stille eingeschlafen.“ Er ließ sich die gute Laune jedenfalls nicht vermiesen und seinen Besen rotieren wie ein Festtagsgeneral seinen bunt gestreiften Stock bei einer Parade. Damit hoffte er wohl, die Stimmung ein wenig anzuheizen, doch leider waren seine Mühen vergebens. „Was ist euch denn nun wieder über die Leber gekrochen?“, führte er weiterhin Selbstgespräche. „Bin ich jetzt euer Alleinunterhalter?“ Erneut bekam er keine Antwort, was ihn sichtlich wurmte. „Passt bloß auf, dass ihr bei dem Geschrei nicht heiser werdet.“ Als er auch für diesen Scherz kein Gelächter erntete, blieb er wutentbrannt stehen. „Nun reicht es aber! Genug geschmollt.“ Er stellte seinen Besen neben sich ab und trat zurück. Das verwunschene Kehrwerkzeug blieb senkrecht stehen, ohne zu schwanken. Mit viel Dramatik öffnete Calep nun seine Gürteltasche. „Allez hopp!“ Ein Ruck ging durch den Feger und dieser stürzte sich kopfüber in den Lederbeutel. Während er noch durch die Luft schnellte, begann er zu schrumpfen und zum Schluss war er so klein, dass er problemlos in der Börse verschwand. „Tatata!“, Calep streckte die Hände aus und verneigte sich wie ein Jahrmarktszauberer nach seiner Abschlussnummer. Als er sich wieder aufrichtete, war seine Enttäuschung groß. Über Flux’ Gesicht huschte lediglich ein zaghaftes Lächeln und Leon hatte nicht einmal hingesehen. „Ächz“, stöhnte da die Frohnatur, es nutzte wohl alles nichts, nun musste er schwerere Geschütze auffahren. „Lauscher auf und hergehört! Es folgt eine wahre Geschichte, die bisher noch jedes Trübsal vertreiben konnte!“ Er machte ein äußert wichtiges Gesicht und schritt stramm voran. „Dieser Wald“, so begann Calep seine Erzählung, „erinnert mich an einen Forst, den ich vor nicht allzu langer Zeit durchwanderte. Alle Bäume hatten junge frische Triebe und kleine putzige Eichhörnchen tollten herum. Veilchen blühten neben Osterglocken und Rosen in der Nähe von Flieder. Der Frühling verging dort nicht und ich erfuhr sehr bald auch, warum. In jenem Wald lebte nämlich ein Einhorn. Sicher erinnert ihr euch noch an die Mustangherde. Das Einhorn, das ich dort traf, war nicht ganz so wild wie seine Verwandten aus dem Grasland. Aber es war auch so groß und stattlich wie alle Pferdeeinhörner und sein Kopfschmuck war bestimmt so lang wie mein Arm. Wenn es das Horn in die Sonne hielt, glänzte es wie ein ganzer Goldschatz.“
Flux, der schweigend hinter ihm ging, kam nicht umhin, den Worten genauestens zu lauschen.
„ Ich entdeckte es sehr bald neben einer Quelle und natürlich war mein Besuch nicht zufällig, denn ich hatte dieses wunderbare Geschöpf gesucht. Zunächst war es ein wenig misstrauisch, doch ich bin eine ehrliche Haut und das erkannte es spätestens, nachdem es mir ins Herz hinein sah.“
Auch Leon war ganz Ohr, eines musste man dem Schelm lassen, er wusste, wie man gute Geschichten erzählte.
„ Es war für mich also nicht schwer, es von meinen guten Absichten zu überzeugen, und so lauschte es auch meiner Bitte. Die Bewohner eines nahen Dorfes hatten mich ausgesandt. Ein böser Dämon hatte ihren Fluss vergiftet und das Einhorn des Waldes war ihre letzte Hoffnung.“ Er legte eine dramatische Pause ein, bevor er fort fuhr: „Das herrliche Tier glaubte mir aufs Wort und es bedurfte keiner weiteren Überredung, es folgte mir, reinigte den Fluss mit seinem Horn und die Dorfbewohner konnten das Wasser endlich wieder trinken. Sie feierten natürlich ein großes Fest und mich wollte man fürstlich belohnen. Bescheiden wie ich bin, lehnte ich ihre Geschenke ab, denn ihre Freude war mir Lohn genug.“ Schelmisch grinste er von einem Ohr zu anderen. „Ich ziehe schon ziemlich lange durch die Welt, wollt ihr vielleicht noch mehr hören?“
Sein schlechtes Gewissen hatte Flux längst vergessen, natürlich wollte er mehr Anekdoten erzählt bekommen! Calep zupfte sich am Bärtchen und griente vor sich hin, während er noch zahlreiche
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