Aus Dem Dunkel
sie.
Das konnte nicht sein. Sie hatte aufgelegt und war so verunsichert gewesen wie noch nie in ihrem Leben. Gabe musste sich das einbilden. Die Alternative war zu schrecklich, um sie sich vorzustellen. Sie wollte nicht damit rechnen müssen, dass tatsächlich ein skrupelloser Killer Jagd auf ihren Mann machte!
Gott, wenn ihm noch einmal etwas zustieße … das würde sie nicht überstehen!
Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, den Master Chief anzurufen und ihn um Rat zu bitten. Schließlich wohnte Gabe bei ihm. Aber jedes Mal, wenn sie es tun wollte, zögerte sie letztendlich doch, weil sie fürchtete, sie könnte etwas sagen, dass Gabes Chancen, ins Team zurückzukehren, gefährden würde.
Seine Karriere bedeutete ihm mehr als alles andere. Welch Ironie , dachte Helen, die inzwischen bis zu den Knöcheln im feuchten Sand versunken war, dass es immer noch Gabes Karriere war, die ihren Mann von ihr fernhielt – diesmal, weil er mit seiner geistigen Gesundheit dafür bezahlt hatte. Trotzdem hätte sie nie gewollt, dass er endgültig aus dem Team genommen wurde, unter keinen Umständen. Gabe lebte dafür, ein SEAL zu sein. Es war das, was er am besten konnte. Er hatte es verdient, ein SEAL zu sein, und sie gönnte es ihm.
Helen schreckte aus ihren Gedanken auf und stellte fest, dass die Sonne bereits hinter den Dächern verschwunden war und unregelmäßige Schatten auf den Strand fielen.
»Komm schon, Pris«, rief sie und machte sich mit dem Hund auf den Weg nach Hause.
Nur war es jetzt kein richtiges Zuhause mehr, oder? Mallory war da, natürlich, so still und ernst, wie sie es immer gewesen war. Arme Mallory. Sie hatte ihr Herz nicht so gewappnet und geschützt wie Helen das ihre. In ihrer kindlichen Naivität glaubte sie immer noch an Happy Ends, wie es sie nur im Märchen gab.
15
Ein lautes Hämmern an der Tür ließ Gabe von der Morgenzeitung aufsehen. Das Klopfen schien von der Decke mit den frei liegenden Balken im Haus des Master Chiefs widerzuhallen. Es klang fordernd.
Gabe nahm die halb automatische Pistole vom Tisch und schob sie sich in den Bund seiner Jeans. Der Master Chief war draußen und schwamm im Meer. Es war sieben Uhr, ein bisschen früh für Besuch. Gabe ging zur Tür.
Helen?, fragte er sich. Diese Aussicht ließ sein Herz höherschlagen. Zugleich wollte er aber nicht, dass sie zu ihm kam. Sein Weggang war für sie beide schlimm genug gewesen, und eine von Missverständnissen begleitete Abschiedsszene reichte.
Durch den Türspion sah er eine schöne, dunkelhaarige Frau. Vielleicht war sie eine Freundin des Master Chiefs? Vorsichtig öffnete Gabe die Tür. Die Frau hatte die schlanke Statur einer Tänzerin, ihr Haar war zu einem Pferdschwanz gebunden. Sie trug einen leuchtend orangefarbenen Gymnastikanzug und einen dazu passenden Batik-Rock. Er blinzelte angesichts des grellen Outfits, das ihn an einen Kanarienvogel erinnerte. Nein, sie war ganz bestimmt keine Freundin des Master Chiefs. Auf eine so farbenfroh gekleidete Frau würde er nie und nimmer stehen. Dann erkannte er sie, es war Leila Eser, Helens beste Freundin und die Inhaberin eines Tanzstudios.
»Hi«, sagte er, neugierig zu hören, warum sie gekommen war. Hatte Helen sie geschickt?
Aus exotisch dunklen Katzenaugen betrachtete die Frau sein zerknittertes Hemd. Rasiert hatte er sich an diesem Morgen auch nicht. »Erinnerst du dich an mich?«, fragte sie, eine ihrer elegant geschwungenen Augenbrauen hochgezogen.
»Leila Eser«, gab er zurück. »Du bist Helens Freundin.«
»Stimmt.« Sie schaute an ihm vorbei ins Haus.
»Möchtest du reinkommen?«, fragte Gabe, denn sie schien darauf zu warten. Als sie das karg möblierte Wohnzimmer betrat, fiel ihm auf, wie fehl am Platz sie wirkte – wie ein bunter Vogel in einem langweiligen Holzkäfig.
Sie schien ähnliche Gedanken zu hegen. Mit unbehaglicher Miene sah sie sich um.
»Kann ich dir einen Kaffee anbieten?«, fragte Gabe und konnte seine Neugier weit genug im Zaum halten, um höflich zu bleiben.
»Gern«, sagte sie, und er schenkte ihr eine Tasse ein. »Schwarz, danke«, fügte sie hinzu, bevor er fragen konnte, ob sie Milch und Zucker nahm.
Er reichte ihr den Kaffee. Sie nippte zögernd daran, und ihre Augenbrauen hoben sich anerkennend. Dann richtete sie ihre Augen, die so dunkel waren wie die Nacht, auf ihn, und er wusste, dass ihm Ärger bevorstand.
»Helen weiß nicht, dass ich hier bin«, begann sie und musterte ihn auf unangenehm unverblümte Weise.
»Woher
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