Aus Dem Dunkel
Türrahmen, umrahmt vom Licht einer einzelnen Laterne, die draußen auf dem Parkplatz stand. Er hatte die Arme erhoben, die Hände lagen auf seinem Kopf. Noch nie im Leben hatte sie den Anblick eines vertrauten Menschen so begrüßt – doch da spürte sie die kalte Mündung eines Waffenlaufs, der ihr gegen den Hinterkopf gedrückt wurde.
Oh Scheiße!
Das konnte doch nicht wahr sein. Leider schon. Keine zehn Minuten nachdem der Cop bei ihr zu Hause aufgekreuzt war, hatte sie begriffen, dass es die Polizei doch kaum interessierte, ob Reggie Marihuana von irgendeinem Dealer bekam. Der Cop hatte sie in den Fond seines Streifenwagens gesperrt und war sofort losgefahren. Sie hatte gegen die Glasscheibe zwischen Rückbank und Vordersitzen gehämmert, aber er war zu keiner Reaktion zu bewegen gewesen. Da hatte die brutale Wahrheit sie wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Diese sogenannte Verhaftung war nicht auf ihr Verhalten zurückzuführen, sondern hatte mit dem zu tun, was Gabe ihnen auf dem Heimweg von Annapolis erklären wollte – dass es jemand auf sein Leben abgesehen hatte. Als Mallory aufgegangen war, dass sie als Köder benutzt wurde, um Gabe in den Tod zu locken, hatte sie vor Entsetzen gezittert.
Der Cop fuhr sie zum Naturschutzgebiet, nach Back Bay, wo ein weiterer Mann in Uniform auf ihn wartete. Das kurze Gespräch der beiden bestätigte nur, was Mallory sich bereits zusammengereimt hatte. Sie wollten Gabe töten, seine Leiche aufs Meer hinausschaffen und dort über Bord werfen.
Es hatte Mallory ungeheure Selbstbeherrschung gekostet, sich nicht zu übergeben. Sie wollte alles tun, was in ihrer Macht stand, damit Gabe nichts passierte.
»Das reicht«, sagte Manning. Sie erkannte ihn an der Stimme.
Gabe blieb stehen.
Mallory blickte sich verstohlen im Raum um. Wo steckte Clemens? Ach ja, er war bereits von ihrem Dad ausgeschaltet worden. Wie hatte Gabe Verdacht geschöpft? , fragte sie sich, dankbar für dessen sechsten Sinn. Sie hatte versucht, ihn zu warnen, dass es noch einen Zweiten gab. Der Scheißkerl musste sie bewusstlos geschlagen haben, die höllischen Kopfschmerzen ließen keinen anderen Schluss zu. Trotz ihrer Warnung war Manning jetzt im Vorteil. Nicht genug, dass Gabe aufgab, nein, man hielt ihr auch noch eine Waffe an den Kopf.
»Leg die an«, befahl der falsche Cop und warf ihrem Vater etwas zu.
Gabe fing es trotz der Dunkelheit mühelos auf. Mallory vernahm das ihr inzwischen vertraute Klicken von Handschellen. Ihr hatte man die Hände auf dem Rücken gefesselt, das Metall schnitt tief in ihre weiche Haut. Ihre Füße waren mit Klebeband an die Stuhlbeine gebunden. Sie hatte keine Chance, einzugreifen … oder?
Als er ihr Selbstverteidigung beibrachte, hatte Gabe sie auch darauf trainiert, alles Mögliche, was einem zur Verfügung stand, als Waffe einzusetzen. Im Augenblick kamen nur die Beine des Stuhls, auf dem sie saß, infrage. Wenn sie Gabe retten wollte, dann musste sie handeln – und zwar sofort.
Die Angst lastete bleischwer auf ihren Schultern, doch Mallory warf sich mit ihrem ganzen Gewicht nach vorn, stemmte sich auf die Füße und rammte Manning die hinteren Stuhlbeine mit aller Wucht gegen die Knie. Ein Schuss löste sich aus seiner Waffe, Mallorys Ohren dröhnten, der beißende Geruch von Kordit stieg ihr in die Nase. Sie krümmte sich, rechnete damit, dass sich eine Kugel in ihr Fleisch bohren würde.
Sie sah nicht, wie Gabe sich bewegte. Eben hatte er noch vor ihr gestanden, jetzt zerrte er sie mitsamt dem Stuhl aus dem Bungalow. Sie konnte deutlich hören, dass hinter ihnen ein Kampf stattfand. Gabe riss an dem Klebeband, mit dem sie an den Stuhl gefesselt war.
»Lauf!«, sagte er, kaum dass er sie befreit hatte.
Sie hatte noch keinen Schritt getan, da verstummte der Lärm im Bungalow, und eine große dunkle Gestalt erschien im Türrahmen. Mallory blieb ein Schrei in der Kehle stecken. Sie dachte, es wäre der andere Cop und dass er jetzt auf sie losgehen würde, doch so war es nicht. Der Mann in der Tür entpuppte sich als der Master Chief ihres Stiefvaters.
»Ich musste ihm das Genick brechen«, keuchte Sebastian. »Er hat wie ein Dämon gekämpft.«
Gabe blickte sich um, als hätte er etwas verloren. »Verdammt«, fluchte er leise. »Wo ist der andere hin?«
Der andere Cop, dachte Mallory. Die Hände noch auf dem Rücken gefesselt, duckte sie sich gegen die Außenwand des Gebäudes und ließ den Blick auf der Suche nach einer Spur von Clemens über die
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