Aus Dem Dunkel
Sie hätte ihm glauben sollen, aber die Wahrheit war, dass sie es nicht gewollt hatte. Sie hatte sich einfach geweigert, sich dieses Szenario vorzustellen.
Jetzt lag ihre süße, unschuldige Tochter verletzt und traumatisiert im Krankenhaus, und das nur, weil sie sich geweigert hatte, ihm zu vertrauen. Und noch schlimmer: Es war noch nicht vorbei. Die Bösen liefen immer noch frei da draußen rum, mit dem Ziel, Gabe zu jagen, ihn zur Strecke zu bringen und seine Erinnerungen endgültig zu begraben.
Helen fröstelte, als sie um das Bett herum und auf den Stuhl zuging, auf dem Gabe saß. Sie suchte Trost und wollte ihm Trost spenden. Er sah auf, ihre Blicke trafen sich, und noch ehe ihr bewusst wurde, was er tat, hatte er sie auf seinen Schoß gezogen. Sie unterdrückte ein Schluchzen, als er seine Arme um sie schlang und sein Gesicht in ihrem Haar vergrub.
Mit einem Kopfschütteln entsann Helen sich der Zeit, in der Gabe eher gestorben wäre, als irgendeine Art von Unsicherheit zu zeigen. Es erschütterte und berührte sie, dass er ihr seine Zweifel jetzt ganz offen zeigte. Und doch war sie jetzt, da sie so aneinandergeklammert dasaßen, von der Gewissheit erfüllt, dass sie und Gabe gemeinsam alles durchstehen konnten. Sollen es diese Dreckskerle nur noch mal versuchen, dachte sie wütend.
»Mein Gott, Helen. Meinetwegen wäre sie fast umgekommen«, flüsterte Gabe, um Mallory nicht zu wecken.
Sie strich mit ihren Fingern durch sein frisch geschnittenes Haar. »Ach, Schatz, das war nicht deine Schuld«, versicherte sie ihm, »sondern meine, weil ich dir nicht geglaubt habe. Du bist ein Held. Dir ist es gelungen, Mallory und dich selbst zu retten.«
»Weil der Master Chief zufällig in der Nähe war.«
»Na und? Jeder kann manchmal ein bisschen Hilfe gebrauchen. Niemand ist unbezwingbar.«
Er schwieg einen Moment lang und musterte ihr Gesicht, wobei seine Augen in der Dunkelheit schimmerten. »Ich kann es nicht fassen, dass ich meine Gegner unterschätzt habe. Mir hätte klar sein müssen, dass sie meine Familie dazu benutzen würden, um an mich heranzukommen.«
»Sei still.« Sie zupfte an den Haarlocken, durch die sie gerade noch mit ihren Fingern gefahren waren. »Du bist kein Hellseher. Und wer hätte damit gerechnet, dass diese Leute so skrupellos sind, ein Kind zu benutzen? Dass sie sich als Polizisten verkleiden und einem Mädchen erzählen, es hätte etwas falsch gemacht?«
Das hatte Mallory ihnen erzählt, als die echte Polizei sie zum Krankenhaus begleitet hatte und sie mit Fragen gelöchert worden waren. Gabe hatte nicht erwähnt, dass ihn jemand umbringen wollte. Helen hatte seine Gründe dafür respektiert, ohne sie im Einzelnen zu kennen, und ebenfalls den Mund gehalten. Die Tatsache, dass der Tote als Cop aufgetreten und in einem Wagen mit dem Emblem der Sandbridge Police gefahren war, hatte die Polizei zu wilden Spekulationen verleitet. Aber letztlich kratzten sich die Ermittler nur am Kopf und verließen das Krankenhaus.
»Warum nur kann ich mich nicht erinnern?«, klagte Gabe und schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich nur an diese eine Nacht erinnern könnte und an den Grund, warum ich zurückgelassen worden bin … «
»Sch! Denk nicht darüber nach«, riet sie ihm. »Du strengst dich zu sehr an.«
»Wie soll ich denn nicht darüber nachdenken?«, wollte er wissen und blickte dabei zu Mallory hinüber.
Helen traf eine Entscheidung. »Ich werde dir helfen zu vergessen«, versprach sie ihm entschieden. »Komm heute Nacht mit mir nach Hause.« Sie hatte den Entschluss in diesem Augenblick gefasst. Sie würde alles riskieren, um ihre Ehe zu retten – ihr Herz und, wenn es sein musste, auch ihr Leben. Gabe hatte lange genug allein gelitten. Das Mindeste, was sie als seine Ehefrau und als die Frau, die ihn liebte, für ihn tun konnte, war, ihn vor den Leuten zu beschützen, die seinen Tod wollten.
Er hob den Kopf und sah sie an. Seine Augen leuchteten im Dunkeln wie die einer Katze. »Es ist gefährlich, mich zu kennen«, warnte er sie.
Sie erschauerte wohlig. »Das habe ich schon gemerkt«, erwiderte sie. »Aber es gibt Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt, Gabe. Und unsere Liebe gehört definitiv dazu.«
Er schloss die Arme fester um sie. »Es tut gut, das zu hören«, sagte er so voller Dankbarkeit, dass es ihr die Kehle zuschnürte. Er zog sie zu sich und küsste sie behutsam. Ihre Lippen verschmolzen miteinander zu einem perfekten und sinnlichen Kuss. Und das Verlangen, das sie
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