Aus Dem Dunkel
… «
Jetzt war er nicht mehr da, um sie zurückzurufen. Sie war frei. Frei, ihr eigenes Leben zu leben. Mit einem tiefen Seufzer der Erlösung ließ sie sich noch tiefer ins Wasser sinken. Kurz darauf tauchte sie wieder auf und griff nach dem Shampoo.
In einem anderen Teil des Hauses klingelte das Telefon. Sie wartete darauf, dass Mallory den Hörer abnahm. Am Vormittag hatte sie einen Step-Aerobic-Kurs gegeben und nachmittags Bildhauerei unterrichtet. Als sie abends nach Hause gekommen war, hatte sie ein großes Verlangen nach einem langen heißen Bad verspürt.
»Mom, es ist für dich.« Die Badezimmertür wurde aufgerissen, als Mallory, ohne anzuklopfen, hereinmarschiert kam. Im Licht der Kerzen wirkte ihr Gesicht wächsern. Vielleicht lag es auch an dem Kontrast zwischen ihrem hellen Teint und ihren Haaren, die sie sich gerade frisch gefärbt hatte.
Schwarz? »Oh, Mal!«, rief Helen. »Was hast du … ?«
»Es ist dringend«, erklärte Mallory und hielt ihr das Telefon hin.
Die Art, wie Mallory ihre grünen Augen aufriss, ließ Helen zögern. Doch sie nahm das Telefon und beugte sich aus der Wanne. »Hier ist Helen«, sagte sie schnell.
»Mrs Renault, hier spricht Commander Shafer von der Traumatologie im Portsmouth Naval Medical Center.«
Helen sah in das bestürzte Gesicht ihrer Tochter. Es musste um Mallory gehen. Wahrscheinlich hatte sie wieder etwas angestellt, was sonst?
»Ma’am, ich rufe Sie an, um Ihnen mitzuteilen, dass wir Ihren Mann hier haben. Es ist wirklich eine bemerkenswerte Geschichte. Er ist in Südkorea an Land gespült worden, direkt vor der entmilitarisierten Zone. Er war in einem ziemlich schlechten Zustand, wenn man bedenkt … «
Der Commander sprach weiter, aber Helen konnte ihn nicht mehr verstehen, so laut rauschte das Blut in ihren Ohren. »Es tut mir leid, aber das muss ein Irrtum sein«, unterbrach sie den Anrufer. »Mein Mann ist tot. Er wird seit über einem Jahr vermisst.«
»Er ist nicht tot, Ma’am. Der Mann, den wir hier haben, ist Lieutenant Gabriel Renault. Er ist die ganze Zeit in Nordkorea gewesen.«
Es konnte nicht Gabe sein. Das Bild des Offiziers, der ihr die Fahne überreicht hatte, schoss ihr durch den Kopf. Sie war so streng gefaltet gewesen, so endgültig. »Haben Sie ihn zweifelsfrei identifiziert? Wie können Sie so sicher sein?«
»Ich verstehe, dass es ein Schock für Sie sein muss«, beschwichtigte der Commander. »Aber Sie können absolut sicher sein, dass wir seine Identität gründlich überprüft haben. Sein Commander ist bereits hier gewesen, um ihn zu besuchen. Jetzt sollte ein Mitglied seiner Familie das noch einmal tun. Er lebt, Ma’am, und er befindet sich in einem ziemlich guten Zustand, wenn man bedenkt, was er durchgemacht haben muss.«
Helen schluckte heftig. Schock und Verblüffung rangen in ihrem Innern mit einem Gefühl völliger Ablehnung. Die Freiheit, die sie in der vergangenen Woche so sehr genossen hatte, war eine Illusion gewesen. Gabe war zurück. Er war die ganze Zeit am Leben gewesen!
»Ich bin mir sicher, Sie möchten gleich zu uns kommen«, bot der Commander an.
»Natürlich«, sagte sie mechanisch, obwohl sie sich dessen bei Weitem nicht so sicher war wie er. Vielleicht hatten sie sich doch geirrt. Denn wie sollte Gabe ausgerechnet in Nordkorea ein Jahr überlebt haben?
»Es gibt da noch eine Sache, die Sie wissen sollten, bevor Sie ihn sehen, Ma’am.«
Sie wappnete sich gegen weitere schlechte Nachrichten. Wahrscheinlich würde man ihr jetzt mitteilen, dass Gabe gefoltert oder verstümmelt worden sei.
»Er hat offenbar einen Teil seines Gedächtnisses verloren. Er erinnert sich nicht daran, eine Familie oder etwas Ähnliches gehabt zu haben. So etwas ist durchaus normal, ich möchte, dass Sie das wissen. Es ist ein Hinweis auf eine Posttraumatische Belastungsstörung, nichts, was man nicht behandeln könnte. Wir geben ihm im Moment Medikamente, um ihn ruhigzustellen. Kommen Sie doch heute Abend noch ins Krankenhaus, dann erkläre ich Ihnen alle weiteren Einzelheiten.«
Stumm vor Entsetzen starrte Helen in das blasse Gesicht ihrer Tochter. Er erinnert sich nicht an uns?
»Ma’am?«
»Ja.« Sie zwang sich zu einer Erwiderung. »Ich bin in ungefähr einer Stunde bei Ihnen.«
»Sehr schön. Sie finden uns im zweiten Stock. Fragen Sie einfach nach Commander Shafer. Ich begleite Sie dann zu Ihrem Mann. Und vielleicht sollten Sie nicht allein kommen«, schlug er vor.
»Ich bringe meine Tochter mit.«
Der
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