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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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ihrem wüsten sizilianischen Dialekt an, das Treppenhaus hallte, ich verstand fast nichts. Dann warf sie die Tür zu, und ich nahm mir vor, nach drei Minuten noch einmal zu klopfen und sie bescheiden zu bitten, mir meinen Laptop zu geben. Schließlich war ich mitten in der Arbeit, und ich arbeite nicht aus Spaß, sondern um das Geld zu verdienen, von dem nicht zuletzt die Sizilianerin lebt. Ganz offenbar ging ich ihr extrem auf die Nerven. Am besten, ich würde die Nacht bei Freunden verbringen und dort mein Schreibpensum erledigen.
    Doch sie öffnete die Tür von selbst noch einmal, um mir in dialektfreiem Normalitalienisch mitzuteilen, daß ich zur Hölle gehen solle und sie mich nie wieder zu sehen wünsche. Es hatte keinen Sinn, ihre Erklärung jetzt mit meiner Bitte um den Laptop zu unterbrechen. So wie sie in Fahrt war, hätte sie ihn geholt, um ihn mir dann mit beiden Händen vor die Füße oder ins Treppenhaus zu schmettern, denn der Laptop war ihr Rivale. Er war schuld, daß ich nicht so oft mit ihr ausging, wie sie wollte, er war schuld, daß ich oft nicht zu ihr ins Bett kam, weil ich noch etwas tippen mußte. Sie hatte mir schon einmal gesagt, daß es ihr lieber wäre, wenn ich ein heimliches Verhältnis mit einer harmlosen Schweizerin hätte, von der sie nichts wisse, als sie vor ihren Augen offen mit dem verdammten Laptop zu betrügen. Wieder knallte sie die Tür zu. Und noch einmal riß sie sie auf. Mit einer verächtlichen Miene, für die sie einen Schauspielpreis verdient hätte, suchte sie nach einem Schimpfwort für mich und fand es: poltrone!
    Poltrone - was sollte das heißen? Bibliotheken und Buchhandlungen waren schon geschlossen, daher begab mich in ein Internetcafé - der ideale Ort, wenn man nicht in seine Wohnung kommt, egal ob man den Schlüssel nicht bei sich hat oder von seiner wilden Frau oder Gefährtin hinausgeworfen wurde. Ort der Einkehr und Besinnung. Behaglich rauchend und trinkend, kann man hier ungestört seine Streifzüge machen und friedlich Antworten auf die Fragen des feindlichen Lebens suchen.
    Nach zwei Stunden hätte ich einen etymologischen Fachvortrag halten können. Ich war außerhalb Italiens vermutlich der Mensch, der am umfassendsten über die Bedeutung und die Ursprünge dieses Wortes Bescheid wußte, das mir meine Sizilianerin im Zorn mit auf den Weg gegeben hatte. La poltrona heißt der Sessel, nicht die geläufigste Bezeichnung allerdings. Le poltrone (Plural) werden die nicht immer sehr sesselhaften Stühle in der Oper genannt, poltronissime die ersten gepolsterten Reihen, poltroncine die weniger bequemen Seitensitze. Un poltrone hingegen ist ein spezielles, aus der Mode geratenes Schimpfwort. Da es eindeutig von dem Sitzmöbel abgeleitet ist, hat man unter einem poltrone heute einen Menschen zu verstehen, der seinen Hintern nicht hochkriegt. Sie hatte mir damit offenbar sagen wollen, daß sie mich, weil ich nicht ständig mit ihr zum Tanzen und zum Essen gehen wollte, für einen spießigen Stubenhocker, einen Pantoffelhelden, ein Weichei hielt, für eine faule Sau, einen trägen Sack, einen Scheißkerl und Lahmarsch, für einen Sesselfurzer, wie man armselige Schreibstubenkreaturen ungalanterweise auch nennt.
    Poltrone - das altmodische Schimpfwort kommt vor allem in der italienischen Oper und Komödie des 18. und 19. Jahrhunderts vor. Somit paßte es ideal zu dem bühnenreifen Auftritt meiner Sizilianerin. Bei Rossini wird so mancher blöde Landsknecht in einem Atemzug als Kanaille und Poltrone beschimpft, was meist mit Memme und Angsthase übersetzt wird, bei Goldoni nennt die aufmüpfige Magd ihren Herrn hinter dessen Rücken einen Poltrone und meint damit so etwas wie einen degenerierten Faulenzer.
    Im Salon von Verdis »La Traviata« stehen neben üppigen Sofas jede Menge bequeme poltrone (Plural) für die wartenden Liebhaber herum, in Puccinis »La Boheme« werden poltrone zerlegt und ihr Holz wird verheizt, um die bittere Kälte im Mansardenzimmer zu vertreiben.
    Nachts, beziehungsweise morgens um drei Uhr war ich im 16. Jahrhundert angelangt, bei Dichtern, die ich entweder vergessen oder von denen ich noch nie oder schon lange nichts mehr gehört hatte. Pietro Aretino und Francesco Berni. Berni gefiel mir besonders. Er sprach von poltroneria und meinte damit so etwas wie Herumlümmelei. Das sei zwar dekadent, aber besser als unsinniges Heldentum. Berni war mein Mann. Der hohe elegische Ton des berühmten und gefeierten Kollegen Petrarca war ihm auf den

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