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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Keks gegangen. Wenn ich ihn nachts am Bildschirm mit fast 500 Jahren Verspätung richtig verstand, war er Gegner einer Literatur, die man gleichsam auf den Knien liest, er schrieb ironisch und war für eine Poesie, die leger gelesen werden konnte. Also der Robert Gernhardt, Erich Kästner, Peter Rühmkorf, Heinrich Heine des 16. Jahrhunderts und gewiß nicht sein Hölderin, Peter Handke oder Durs Grünbein.
    Wieder mal eine halbe Nacht vor dem Bildschirm und um einiges Spezialwissen reicher, aber wenigstens hatte meine Sizilianerin mich dabei nicht aus nächster Nähe gehaßt. Um für die restlichen Stunden der Nacht noch ein Hotel zu nehmen, war ich zu geizig. Das Wetter war gut, und ich spazierte kreuz und quer durch die Stadt. Eine Stunde lang kam ich mir romantisch, jung und ungebunden vor, danach alt und obdachlos. Nach meinen Sprachforschungen und der Lektüre diverser Libretti schwirrten allerlei Opernmelodien in meinem Kopf herum, vor allem das alberne »La donna è mobile« aus Verdis »Rigoletto«. Die deutsche Übersetzung - o wie so trügerisch sind Weiberherzen - war entschieden zu einschichtig. Ich sollte mich an eine moderne Nachdichtung der Arie machen, in der die Frauen als launisch verrückte Möbelstücke besungen werden, die, ständig mit Mobiltelefonen hantierend, ihre Vergnügungssucht als Beweglichkeit preisen und dabei Männer boshaft als unbewegliche Sitzenbleiber verhöhnen. Diese Arie sollte ich singen, wenn ich, das Treppenhaus emporsteigend, zu meiner Sizilianerin zurückkehren würde.
     
    Wohin am Vormittag nach dem Frühstück, wenn die Stunde der Rückkehr noch nicht geschlagen hat und die Zeit nicht vergeht? Nicht schon wieder das Internetcafé. Ein Einrichtungshaus ist ein anderer Zufluchtsort für Verbannte, optimal zum Fortsetzen meiner Studien über die bewegliche Frau und den unbeweglichen Mann, die ich in einem Essay verwerten würde: mobile - immobile - was für ein existentielles Thema, um zwischen Möbeln damit loszulegen. Ich hatte meine Sizilianerin mit ihren Freundinnen schon mehrfach von einem unkonventionellen Einrichtungshaus auf dem Areal einer stillgelegten Brauerei und von dessen Philosophie tuscheln hören, mit einer Ehrfurcht, die mir etwas zu hoch gegriffen erschien.
    In edlen Läden weiß man, was sich gehört. Man bietet Bonbons und Espresso an, läßt die Kunden in Ruhe herumstreunen, läßt sie sogar rauchen, wenn sie rauchen wollen, und berät sie unaufdringlich: »Falls Sie nicht finden, was Ihr Herz begehrt, können Sie bei uns Sonderanfertigungen in Auftrag geben.« Besonders schmeichelhaft der Hinweis, im Bedarfsfall werde auch die komplette Einrichtung eines Hauses oder einer Wohnung übernommen.
    Dieses Angebot gab mir zu denken: Sah ich so ahnungslos, so unentschlossen aus, so geschmacksunsicher, so bequem, so matt, so unbedarft königlich, so vermögend, als ob ich die Gestaltung meiner Privatgemächer fremden Menschen überlassen würde? Wie auch immer, für solvent gehalten zu werden, hebt die Laune. Hätte im übrigen auch mal was, wie ein Gastprofessor in einer fix und fertig designten Wohnung zu hausen, in der einen keine Lampe an die Studentenzeit, kein Tisch an die Hochzeit, kein Aschenbecher an eine Liebschaft, kein Schrank an die Erbtante, keine Kommode an die Schwiegereltern erinnern würde. Vielleicht ganz erfrischend, diese Geschichtslosigkeit, in der einen nichts ablenkt?
    Zunächst probierte ich alle möglichen Sessel aus. Dabei beobachtete ich Frauen, die sich über einen Tisch beugten und Stoffmuster begutachteten. Ein Anblick wie ein Gemälde von Degas. Ich wurde müde, und eine seltsam konservative Empfindung suchte mich heim: Es gibt nichts Schöneres als Frauen, die Stoffe auswählen, fand ich und wünschte, meine Sizilianerin wäre bei diesen Frauen dabei.
    Ich bewunderte das wohlriechende Feuer in einem riesigen Kamin, der aus einem Beton gefertigt war, der uriger aussah als alte Eichenbalken. Ich amüsierte mich über Kronleuchter aus Papier und über ein buntes Sofa, dem nur die sich rekelnde Marilyn Monroe fehlte. Ich staunte über die erlesene und originelle Modernität und die präzise Verarbeitung von Tischen und Kommoden aus massiven, ökologisch anscheinend unbedenklichen Urwaldhölzern, handgemacht in Brasilien. Zu einem absurd riesigen Tisch aus weißem Marmor ließ ich mir die Geschichte erzählen, die von der Relativität der Unbeweglichkeit handelt und damit zu meinem neuen Lebensthema mobile - immobile paßte: Ein

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