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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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sprechen, war mir durch das Leben mit der ledernen Linda nicht abhanden gekommen. Sie durfte nur nicht als pechschwarze oder blutrot glänzende Schlange im Publikum sitzen. Bei diesem Anblick verwirrten sich meine Gedanken, und ich redete dummes Zeug.
    Die Vorträge dienten mehr schlecht als recht dem Erhalt meiner Selbstwertgefühle. Sie ließen mich für einen Abend meinen literarischen Verfall vergessen. Mit den Honoraren besserte ich die Einkünfte auf, die uns in der Hauptsache von Lindas geschiedenem Mann zuflossen, ein Zahnarzt, der heilfroh war, die Frau los zu sein, die ihn mit ihren erotischen Bedürfnissen an den Rand des Ruins getrieben - und die mir in kurzer Zeit all meine Schaffenskraft geraubt und mich zu einem einfallslosen Gaga-Poeten gemacht hatte.
     
    Der Mann hieß nicht Krüger - aber so ähnlich. Nach dem Telefongespräch hatte ich seinen Namen gleich wieder vergessen. Er war der Direktor eines großen und bekannten Theaters. »Kennen Sie den Theaterpreis der Landesregierung?« fragte er mich.
    Mit dem Theater habe ich es nicht so. Die Welt der Preise ist mir noch fremder. Dennoch war meine schriftstellerische Lage offenbar so trostlos, daß ich sekundenlang von der aberwitzigen Hoffnung überwältigt wurde, Herrn Krügers nächster Satz werde lauten: Die Jury hat sich für Sie entschieden. Und dann würde seine Frage kommen: Ob ich bereit sei, den hoch dotierten Preis anzunehmen. Etwas unwahrscheinlich, wenn man noch nie ein Theaterstück geschrieben hat. Meine Depression und damit verbunden mein Realitätsverlust waren offenbar schon weit fortgeschritten.
    Der Preis werde nun schon das vierte oder fünfte Mal verliehen, sagte Herr Krüger. Der feierliche Akt würde auch diesmal in seinem Theater stattfinden. Das Fernsehen überträgt das Ereignis live. Sieben Preise in verschiedenen Sparten werden vergeben.
    Soso, dachte ich, er will mich zu einer launigen Laudatio überreden. Irrtum: Als Lobredner waren ehrwürdigere Personen als ich vorgesehen und auch schon angefragt worden: Bürgermeister, Minister, Intendanten, prominente Schauspieler. Das war nicht das Problem. Das Problem war die Moderation.
    »Aha«, sagte ich abwartend ins Telefon. Man wollte mich offenbar als Conférencier gewinnen. Man brauchte einen August, der durch den Abend führt, so einen Zeremonienmeister, der die verschiedenen Preisträger und Laudatoren ankündigt und die diffuse Veranstaltung mit einer galanten und witzigen Moderation zusammenhält.
    »Genau! Die Moderation, das ist der Punkt!« Der Herr, der so ähnlich wie Krüger hieß, schluchzte und flehte fast und wiederholte sich ständig: »Witzig, ja witzig muß die Moderation sein! Sie glauben ja gar nicht, wie öde solche Preisverleihungen sind!« Die Jury, stöhnte er, habe die finstersten Produktionen mit Preisen bedacht, eine KZ-Holocaust-Oper, ein nicht weniger alptraumhaftes Winterreise-Ballett nach Schubert, eine gruselige »Woyzeck«-Inszenierung - nur die düstersten Leistungen seien prämiert worden, da brauche es wahrlich eine witzige Moderation. Deswegen sei man auf mich gekommen. Vielleicht könne ich diese Veranstaltung vor dem Absturz retten.
    Warum immer nur schreiben oder Reden halten, warum nicht einmal das. Ich sah mich bereits bei dieser Festveranstaltung als Moderator mit der nötigen Distanz unfestlich herumlavieren und hörte mich unkorrekte Bemerkungen verteilen. Diesmal würde ich Linda bitten, den schrillsten ihrer Röcke anzuziehen und sich ins Publikum zu setzen, um die Spießergattinen und gatten etwas zu beunruhigen. Meine Lebensgeister erwachten bei dieser Vorstellung. Linda ist jüdisch und macht sich über den Wiedergutmachungsphilosemitismus der korrekten Deutschen lustig, und eben dies würde ich auch tun, wenn ich auf die gepriesene Holocaust-Oper zu sprechen kommen würde. Linda würde begeistert von mir sein. Beim anschließenden Empfang würde ich sie diesem kartoffelkeimartigen Ministerpräsidenten vorstellen und ihr dabei auf den glatten Arsch klatschen. Linda liebt es, in der bürgerlichen Gesellschaft wie eine Nutte behandelt zu werden. Natürlich nur von mir. Es ist eine Falle. Wer sich verleiten läßt und anzüglich wird, der wird sofort von Linda zurechtgewiesen.
    Trotzdem ging mir die Sache ein bißchen zu weit. Ein Schriftsteller in der Krise ist immer noch Schriftsteller. Und ein Schriftsteller ist bei all dem seinem Beruf innewohnenden Hofnarrentum nach außen hin immer noch eine seriöse Person. Eine

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