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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Zeiten so angenehm unaufdringlich geduftet haben. Kurz, ein Juwel, ein Kleinod, eine Zuflucht, nein, kein Juwel, kein Kleinod, eine Selbstverständlichkeit, eine Seltenheit, eine Heimstätte, ein Ort wahrer Größe. Der Rauch der Zigaretten steigt zur hohen Decke, von der ich beim besten Willen nicht sagen kann, wie sie beschaffen ist. Mit Ornamenten verziert? Flach oder Gewölbe? Ich weiß es nicht. Wenn einem wohl ist, schaut man offenbar nicht nach oben.
    Hier hatte ich schon mit Helene gesessen und auch mit Ines. Helene hatte einmal Lust gehabt, mich ein Stück auf einer Fahrt nach Hamburg zu begleiten. In Nürnberg war sie ausgestiegen, und ich natürlich mit ihr. Wir saßen eine Stunde in diesem Restaurant, ehe ich weiter in den Norden und Helene wieder zurück in den Süden fuhr. Keine Aussprache, keine Versöhnung, einfach nur so. Wir hatten vermutlich nichts gegessen, vielleicht eine Suppe, vielleicht auch nur Tee mit Zitrone, oder ein Bier oder Wein, ich weiß es nicht mehr, ich kann mir nie merken, was ich wo gegessen oder nicht gegessen habe, es ist mir egal, und im alten Nürnberger Bahnhofsrestaurant ist es mir ganz besonders egal.
    Ein anderes Mal war Ines mitgefahren. Wir hatten uns auf dem Münchner Bahnhof verabschiedet. Vier Wochen würden wir uns nicht sehen, und der Abschied war Ines zu kurz gewesen. Da war sie einfach zu mir in den Zug gestiegen und bis Nürnberg mitgefahren. Damit hatten wir gute anderthalb Stunden gewonnen. Sie hatte damals gerade eines ihrer zahllosen Kinder in die Welt gesetzt und stillte es noch. In Nürnberg mußte sie zunächst den Kindsvater anrufen und ihm Milchfläschcheninstruktionen geben. Kein Wunder, daß ich diese Frau abgöttisch liebte, oder? Für diesen wunderbaren Sieg der Liebe über die Fürsorge habe ich Ines später tausend Gemeinheiten verziehen. Wir gingen ins Restaurant und saßen am selben Tisch, an dem ich mit Helene gesessen hatte, wir traten auf unsere Füße und fragten uns, ob wir das täten, wenn wir ein Ehepaar wären. Zwei Züge ließ Ines fahren, dann trennten wir uns. Mein Gott, sagte sie und holte Luft. Im Gegensatz zu mir würde sie wegen ihres unverhofften Ausflugs noch Ärger kriegen. Das war einmal.
    Jetzt kaufte ich mir eine Zeitung und ein Päckchen Präservative, suchte das Restaurant auf und fühlte mich sofort gerettet und zu Hause. Es war erst halb sechs. Ich bin gern vor der Zeit am Ort der Verabredung und sehe mich um. Das Restaurant war leerer denn je, fast stand eine süße k.-und-k.-Melancholie wienerisch im Raum. Daß es so etwas noch gibt! In Nürnberg! Schon wurde ich von wahrhaft christlichen Dankbarkeitsanwandlungen heimgesucht. Der strategisch günstigste Platz, von dem aus ich beide Eingangstüren im Blick haben würde, war von einer Frau mit Hut besetzt. Eine Weile streifte ich unentschlossen durch den Raum und nahm dann Platz an einem Tisch direkt neben dem, an dem ich vor vier Jahren mit Helene und vor drei Jahren mit Ines gesessen hatte.
    Hier auf eine Frau zu warten gab dem Leben wieder Sinn. Erst nach zehn Minuten erschien ein kauender Ober, als ahnte er, daß ich Zeit im Übermaß hatte. »Ich bin noch nicht so weit«, sagte ich. Nach weiteren zehn Minuten bestellte ich eine Rindersuppe. »Hühnersuppe ist besser«, sagte er. Ich sah ihm scharf ins Gesicht. Man weiß es nie: Wollen sie ihr Zeug loswerden, oder meinen sie es ehrlich? Ich fügte mich. Huhn.
    Um sieben Uhr war mir klar, daß es weltfremd von mir war, auf eine Frau zu warten, die ich nicht kannte, mit der ich vor zwei, drei Jahren ein paar Briefe gewechselt und der ich vorhin unvermittelt ein Telegramm geschickt hatte. Natürlich würde sie nicht kommen. Dennoch bereute ich meinen einfältigen Entschluß nicht, denn eine gute Stunde lang war ich kindisch genug gewesen, an ihr Kommen zu glauben, und das war eine aufregende Stunde gewesen. Zwei Dutzend häßliche Frauen waren in der Zeit ins Restaurant gekommen, alle mit einem Blick, als hielten sie nach mir Ausschau. Zwei Dutzend Mal erschrak ich bis ins Mark. Ich wußte nichts. War Susanne dick oder dünn, 30 oder 60, blond oder dunkel. Die Suppe stand kalt neben mir, sie war nicht schlecht, aber ich war zu nervös, um zu essen. Auch lesen konnte ich keine Zeile von meiner Zeitung. Die Frage war nur noch, ob ich wirklich, wie ich Susanne telegrafiert hatte, bis 9 Uhr hier ausharren, und wenn, dann wie ich das aushalten sollte.
    Um zwanzig nach sieben stand Susanne plötzlich im Raum, als wäre sie

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