Aus dem Leben eines Lohnschreibers
und Fernsehauftrittsaufzeichnungen belegen all diese Verirrungen.
Der Kauf des Anzugs nach dem Ausgedienthaben der geliebten und unersetzlichen Kaschmirjacke geschah im Zustand der Resignation, in dem man Bekleidungshäuser meiden sollte. In der halben Stunde des An- und Ausprobierens schwankte ich zwischen Selbstekel und heimlichen Anpassungsgelüsten. Jahrzehnte meines Lebens hatte ich ohne Anzug zugebracht. Warum nicht mal aussehen wie alle Autohändler und Verleger und seriösen Autoren dieser Welt. Ich entschied mich für ein mittleres Gebrauchsgrau, das dunklere Grau war schöner, aber zu feierlich. Zu Hause der Schock. Im Spiegel des Ladens hatte mich trotz aller selbstzerfleischenden Bedenken ein wahnwitziger Funken Hoffnung umgetrieben, der Anzug würde mir stehen wie Gary Cooper. Diese erhoffte Anmutung war nun gänzlich und ein für alle Mal dahin. Ich sah aus wie Harald Schmidt, der immer so aufgedreht angezogen auftritt, als käme er aus einer Umkleidekabine. Ich habe ihn früher ab und zu gern gesehen, seine Anzüge aber, und wie er sie siegessicher trägt, fand ich immer extrem spießig und abscheulich.
Schlips kommt bei mir allerdings nicht in Frage, trage ich frühestens ab 80. Ein letztes Aufbegehren gegen Vereinnahmung und Establishment - hochgradig albern, aber auch bequem: Ich habe es luftiger und muß nicht auch noch entscheiden, mit welchem Fähnchen vor der Brust ich Geschmack beweise und mich von der Brut der Geschäftsleute und Politiker unterscheide. Die hohe Zeit der Schlipse ist ohnehin unwiederbringlich vorbei. Von Mitte der 1930er bis Mitte der 1950er Jahre sahen Mafiakriminelle, heroinsüchtige Jazz-Musiker, Privatdetektive und Schriftsteller aus wie Gentlemen: Diese lässigen weichen Schlipsknoten und Hemdkrägen, diese breiten Revers und weiten Hosen sind so wenig wiederbelebbar wie besagter Gary Cooper, Cary Grant und all die anderen Götter des guten Geschmacks. Leider. Mit den 60er Jahren zogen bei Kriminellen wie Intellektuellen fadendünne Schlipse und schwarz-existentialistische Rollkragenpullover ein (Gruppe 47!), und die Männer begannen wie Konfirmanden auszusehen.
Ein offener Schriftstellerkragen läßt heute am wenigsten Rückschlüsse auf die Gesinnung zu. Das ist mir lieb. Ich will nicht erkannt und festgelegt werden. Mal von dem Grad der Spießigkeit des Musters und der Häßlichkeit der Farbe des Schlipses abgesehen, hat jeder Knoten seine Bedeutung. Sehr locker ist pseudoneoliberal-ranschmeißerisch und vorsichtig opportunistisch. Wer so nicht wirken will und es schick findet, Schlips und Knoten extrem festzuzurren, muß in Kauf nehmen, für einen konservativklerikalen Knochen gehalten zu werden. Mit Krawattennadel am eingeschnürten Hals sieht man aus wie ein katholischer Befürworter der lateinischen Meßfeier und Fan der Martyrien des heiligen Sebastian.
Das erste Jahr mit meinem praktischen, ekelhaft moderaten Anpassungs-Messe-Anzug trug ich, um nicht wie ein adretter Verlagsgeschäftsmensch oder wie ein vor Selbstbewußtsein und schreiender Gutgelauntheit fast platzendender Harald Schmidt auszusehen, ein weißes T-Shirt unter der Jacke und stellte fest, daß alle Autorenkollegen graue Anzüge mit weißen T-Shirts trugen. Manche jüngeren Autoren schlurften mehr wie Stefan Raab durch die Hallen: mit raushängenden Hemden und Kapuzenpullis. Als jung gilt man in dieser seltsamen Branche bis Ende 40.
Im Jahr darauf probierte ich es mit schwarzen Polohemden zum Anzug - auch das war dann prompt die Autorenausgehuniform der Buchmesse. Immerhin waren meine Polohemden von C&A und also ohne das alberne Krokodilsprädikat. Diesmal waren die Fotografen zufrieden, die Menschen mit weißen Hemden nur ungern knipsen.
Obwohl doch jeder Autor heute mehr denn je herausragende unverwechselbare Bücher schreiben möchte und aus Konkurrenzgründen schreiben muß, neigt er in seiner Kleidung eher zur Unauffälligkeit. Die Scheu vor extravaganten Auftritten ist unübersehbar. Das gilt übrigens auch für die Autorinnen, die auf der Messe so schlicht kostümiert sind, daß man sie wie die Männer kaum auseinanderhalten kann. Und auch in den langen Messenächten bei den Verlagsfeten halten sich die Kolleginnen zurück und unterscheiden sich von den exaltierten Hysterikerinnen der Filmbranche. Die Frage, die nach Filmfesten noch wochenlang die Modegemüter bewegt, welche Favoritin welches tollkühne und von wem fabrizierte und wie weit ausgeschnittene Kleid trug, hat
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