Aus dem Leben eines Lohnschreibers
wird es auch diesmal wieder bei diesem verdammten grauen Anzug bleiben.
Ich hasse meinen grauen Anzug. Vor sechs, acht oder auch schon zehn Jahren, als ich einmal mit dem Schreibpensum überraschenderweise rechtzeitig fertig geworden war, wollte ich den Nachmittag vor der Fahrt zur Buchmesse nutzen, um unverbindlich nach einem neuen Kleidungsstück Ausschau zu halten. Mein Lieblingsjackett war damals dabei, den Geist aufzugeben. Im Jahr zuvor hatten die Gebrauchsspuren noch den Charme des Nachlässigen gehabt, nun ging es mit großen Schritten der Heruntergekommenheit entgegen. Ich wollte eine ähnliche Jacke haben und mußte entsetzt feststellen, daß eine nicht halb so schöne weit mehr als das Zwanzigfache dessen kostete, was ich wenige Jahre zuvor für meine über alles geliebte bezahlt hatte. Die hatte ich mir, ohne lange zu überlegen, in einem italienischen Ausverkaufsladen einpacken lassen, weil sie weich und warm und leicht zugleich war, angenehm unaufdringlich kariert und zeitlos geschnitten. Sie paßte perfekt und war nicht teurer als zwei neue CDs: Sechzigtausend Lire, also 60 Mark.
Erst später lernte ich die wahren Werte meiner Zufallserrungenschaft kennen. Auf einer Buchmesse. Ich traf einen flüchtig befreundeten Branchenmenschen, der zum Controller eines Verlagskonzerns aufgestiegen war und machte ihm ein paar ironische Komplimente zu seinem Karrieresprung. Er sah mich an und sagte: »Ihnen geht es aber auch nicht schlecht.« Mir ging es finanziell wieder einmal gar nicht gut, und ich bat ihn, seine Kapitalistenscherze zu lassen. »Wer sich so ein Jackett leisten kann, der sollte nicht klagen«, sagte er, »darf ich?« Er griff an meinen Ärmel, prüfte den Stoff kurz zwischen Daumen und Zeigefinger und pfiff leise: »Allerfeinstes Kaschmir, wie ich schon vermutete, dafür haben Sie mehr als 2000 bezahlt.«
Jackettmäßig waren die Kaschmirjahre die glücklichsten meines Lebens. Das wunderbare Stück beschützte mich, wann immer ich das Haus verließ. Als die Winter noch eisig waren, fror ich nicht, in tropisch heißen Theaterräumen oder halogenlichterhitzten Messehallen schwitzte ich nicht. Auf der Messe wird man als Autor gelegentlich interviewt. Leider nur selten zu seinem eigenen neuen Buch, weil der Reporter ja da einen Blick hätte hinein werfen müssen. Also wird gefragt, welches andere Buch man empfehlen könnte. Das ist einfacher. Einen Menschen in dieser Lage nach den Hervorbringungen seiner nichtswürdigen, in grauen Anzügen geschäftig herumwuselnden Autorenkollegen zu fragen ist schon nicht mehr taktlos, sondern Folter. Dennoch: ich schoß keinen Interviewer über den Haufen, ich schlug keinem sein Mikrophon auf den Kopf, sondern gab freundlich die gewünschten kollegialen Auskünfte. Meine dezente, geduldige, widerstandfähige, schmeichelnde Gentlemanjacke war es, die mich sanft bleiben und die Form wahren ließ.
Weil Bilder beliebter und auch leichter zu machen sind als Texte, wird man als Autor auf der Buchmesse mehr fotografiert als befragt. Auf sämtlichen Fotos meiner karierten Kaschmirjacke kann ich mich mit der dargestellten Person identifizieren. Ein Mensch blickt mich an, der mit seiner Jacke im Einklang ist, der voll hinter der Mischung aus billig und edel steht.
Billig und edel. Meine Jacke hat mich gelehrt, daß dies das ideale Motto meines Lebens ist. Billig und edel, so sollen auch meine Texte sein. Bloß nicht kostbar! Teuer und edel - das kann sich jeder Depp zusammenkaufen, wenn er Geld hat. Da ist ja teuer und geschmacklos noch besser. Über diese Mischung kann man sich bestenfalls amüsieren. Frauen in sündhaft teuren rosafarbenen Noppenstoff-Chanel-Kostümen zum Beispiel. Eingefaßte Revers. Entsetzlich. Traurig. Billig und geschmacklos hingegen, das hat was. Für diese Exzentrik besitze ich allerdings noch nicht die nötige Größe.
Ungern denke ich an die Jahre vor meiner karierten Kaschmirjacke. Aus der heute nicht mehr nachzuvollziehenden Überlegung heraus, als Schriftsteller sei man schließlich ein bunter Vogel, glaubte ich eine Zeitlang, mich vom Grau des Bürgertums absetzen und etwas Farbe tragen zu müssen. Ich sehe mit Schrecken eine ausgebeulte rotbraune Cordhose vor mir, in der ich aussah wie ein Heimwerker. Dazu elfenbeinfarbene Socken. Zum Glück nicht gleichzeitig gab es eine blattgrüne Leinenjacke, die mich zu einem degenerierten Gemsenjäger machte, zu einem mißratenen Sproß des Hauses Wittelsbach. Erbarmungslose Pressefotos
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