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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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daß mein geplanter Roman zu einem Drittel in Kuba und dann in Kolumbien spielen müsse und nur zustande kommen werde, wenn man mir einen viermonatigen Aufenthalt finanziere. In meinem Alter hätte ich keine Lust mehr, mir nur vorzustellen, wie die sagenhaften, von exotischen Drinks erhitzten Kubanerinnen im Bett herumtobten.
    Programmchef und Verleger waren reserviert, sie rieten mir ab, meinten, Kuba-Reisen seien etwas für österreichische Provinzböcke, nicht besser als Sex-Reisen nach Sri Lanka, damit tue ich dem Roman keinen Gefallen. Das Ausweichen nach Kolumbien oder Mexiko sei auch Unsinn. Mein Romanheld brauche keine gerösteten Kaktusscheiben zu verspeisen. Der Verlag werde diesen exotischen Mißgriff nicht finanzieren, hieß es, und man gab mir den Tip, falls man mir Kuba nicht habe ausreden können, mich an eben jenen Redakteur der Reisezeitschrift zu wenden, der mich statt nach Havanna ins Weiße Rössl geschickt hatte.
     
    Als ich unverrichteter Dinge von Hamburg Richtung Süden fuhr, kam ich mir uralt vor. Die Situation wurde langsam lebensgefährlich. Zwischen Hannover und Göttingen ging ich dem nach, was seit Monaten meine Lieblingsbeschäftigung war: Ich formulierte an einigen Sätzen herum, die ich Ines zukommen lassen wollte. Als ich es gewagt hatte, ihren winterlichen Tomatengruß aus Teneriffa mit meiner hocherfreuten Deutung zu beantworten, war Ines grausam und unverschämt genug gewesen, mich zu bitten, ihr nicht mehr zu schreiben. Seitdem wollte ich ihr ein paar finstere Abschiedsworte ins Herz stoßen. Ich hatte vor, ihr 50 Bund Petersilie zu schicken, unser hundsgemeines Lieblingsküchenkraut - und dazu ein paar gallebittere Worte, die ihr weh tun sollten. Diesmal sah die Textvariante so aus: »Die Liebe ist tot. Ins Grab mit ihr. Wirf das Grünzeug hinterher, damit die Erde nicht so poltert. Es gelingt mir nicht, Dich in angenehmer Erinnerung zu behalten. Mir fällt immer nur ein, wie Du unausstehlich warst. Ich denke an Dich wie an ein Gespenst, will unsere Liebe vergessen und möchte auch von Dir vergessen werden.«
    Ich fuhr zweiter Klasse, das entsprach meinem Gemütszustand. Allerdings fahre ich meistens zweiter, auch in besseren Gemütszuständen. Es entspricht offenbar meinem Wesen und meiner Ideologie. In der ersten Klasse sitzen mir zu viele Kleinbürger, die ihrer Herkunft zu entfliehen versuchen. In einem meiner Romane habe ich den Helden beim Wählen zwischen erster und zweiter Klasse einmal eine Weile hin und her zögern lassen. Ein Kritiker hatte dieses Zögern tatsächlich gegen mein Buch verwendet und geschrieben, den Roman brauche man nicht zu lesen, denn wer interessiere sich für einen Mann, der mit Vierzig oder Fünfzig noch nicht weiß, ob er in die erste oder zweite Klasse gehört. Diese dumme Sau von Kritiker. Für welche Klasse man sich entscheiden soll, ist überhaupt die einzige Frage, die einigermaßen sinnvoll ist. Wohin mit mir? Es ist ja nicht nur das Reisen. Auch das Kranksein. Und das Essen natürlich. Wie viele Klassen es gibt! Mache ich 40 oder 60 oder 80 oder 120 Mark locker? Zu zweit natürlich. Allein essen gehen ist mir zu fürchterlich. Ab wieviel Mark wird es affig? Von 240- und 480-Mark-Rechnungen will ich hier nicht reden. Ab 120 lasse ich mich sowieso einladen, da ist es mir egal. Aber kein Mensch wird abstreiten, daß zwei Leute für 60 ganz wunderbar essen können, und zwar nicht nur als Elendstouristen in Nepal oder Malaysia, in Budapest oder Prag. Und dann ist die Sache doch die: Eine glückbringende europäische Fresserei für 60 Mark ist natürlich doppelt so gut wie dasselbe Futter für 120. Erstens, weil man sich besseren Gewissens zwei bis drei persönlichkeitsbildende Jazzscheiben mehr kaufen kann, zweitens weil das günstigere Verhältnis von Preis und Leistung euphorisierender wirkt als der oder die beste Grappa. Das heißt: ein famoses 480er Essen müßte genau achtmal so gut sein wie ein famoses 60er Essen, wenn es mit diesem an Beglückungskraft standhalten sollte. So etwas aber habe ich noch niemals geschluckt.
    Natürlich wird in der zweiten Klasse ordinärer und enthemmter gehustet. Das ist ein Nachteil. Die Frau neben mir hatte einen scharfen, fast unecht klingenden Husten, und ich überlegte mir, ob der Husten hysterisch war und sie damit wahllos Mitgefühl auf sich ziehen wollte, oder ob er echt war und sich in drei Tagen lockern würde. Ich überlegte mir auch, ob mich dieses Husten weniger mordlüstern machen würde, wenn

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