Aus dem Leben eines Lohnschreibers
heftiger anzuziehen. Nach nur drei Wochen Kuba werde man sein restliches Leben lang nur noch mit kaffeebraunen karibischen Frauen schlafen wollen. Nicht nur mir, auch meinem Roman werde die Luftveränderung guttun. Havanna müsse endlich von mir zur Romankulisse gemacht werden. Ich protestierte: Über Kuba gäbe es schon genug Romane und Filme. Egal. Dann solle ich meinen Helden eben nach Kolumbien fliegen lassen, und zwar mit einer zweimotorigen Propellermaschine, die nur langsam an Höhe gewinnt, von Havanna nach Cartagena. Mein Ratgeber, ein ehemaliger britischer Colonel übrigens, ließ seine flache Hand langsam über dem Tischtuch an Höhe gewinnen und ahmte dazu das Brummgeräusch eines alten Flugzeugmotors nach. »Cartagena de las Indias«, sagte er triumphierend und schneuzte dann in ein Taschentuch mit Monogramm, »da müssen Sie hin!« Ich nickte höflich und war mir nicht sicher. Das klang nach Endstation. Was dann?
Obwohl ich den Verdacht nicht loswerde, daß Reisen die Erkenntnis eher verschattet und daß ich daher lieber meine Romanfiguren in der Welt herumschicke als mich selbst, fing ich an, mich für die Länder Lateinamerikas zu interessieren. Sich immer nur auf Blaise Pascals berühmten Spruch zu berufen, wonach das Elend der Welt daher rühre, daß der Mensch nicht ruhig auf seinem verdammten Hintern in seinem verdammten Zimmer sitzen bleiben könne, schien mir plötzlich etwas armselig. Da ich kein Geld für eine Reise hatte, schlug ich einem meiner Redakteursbekannten, der bei einer Reisezeitschrift eine einflußreiche Stelle hatte, vor, mich in die Karibik zu schicken. Er schrie auf. Niemals! Kuba, Kolumbien, Karibik, niemals! Mexiko? fragte ich. Es kam fast bettelnd aus meinem Mund. Ines war mit ihrem verfluchten Mann einmal in Mexiko gewesen. Diese Reise hätte nicht stattfinden dürfen. Ich hätte sie verhindern müssen. Mexiko? Der Redakteur winkte ab. Ob ich nie was von Pascal gehört hätte. Diese verdammten Reisen in der Welt herum brächten doch nichts. Machten doch nur den Globus kaputt. Man käme immer mehr davon ab.
Er verwickelte mich in ein Gespräch über die Vorteile und die Zukunft des Computers. Im Zeitalter des Lesens sei man auch nur in seiner Vorstellung auf Reisen gegangen, man sei ein Mitreisender der Autoren von Reiseliteratur gewesen. Der Computer beziehungsweise die entsprechende Software gäbe den Leuten nur diese verlorengegangene Tugend des Reisens im Geiste wieder zurück. Die gescholtenen virtuellen Welten, die der Computer eröffne, seien nichts anderes als eine auf Trab gebrachte Phantasie. Gerade an meinen Büchern habe ihm als Reiseredakteur immer gefallen, daß ich die Reisen meiner Figuren karlmayhaft recherchiert und erfunden habe, ich solle dieser genialen Methode ja nicht untreu werden, sagte er, und ich wurde den Verdacht nicht los, daß hier wieder einmal ganz karlmarxhaft das Sein das Bewußtsein bestimmte und nur nicht genug Geld da war, den Autoren eine Reise zu finanzieren. Der virtuelle Redakteur schlug mir vor, einen Essay über die Freuden der Seßhaftigkeit zu schreiben, in dem ich gegen das reale Reisen wettern sollte - aber das war mir dann doch zu bleibimlandundnähredichredlichhaft. Dann bot er mir eine Reise in das berühmt-berüchtigte »Weiße Rössl am Wolfgangsee« an, darüber dürfe ich für sein geplantes Österreichheft in einer Polemik hundertzwanzig Zeilen à sechsunddreißig Anschläge lang gepflegt lästern. Später könne ich ja meinen Romanhelden ebenda ein erotisches Abenteuer mit einer Touristin erleben lassen.
Ich nahm den Auftrag tatsächlich an und besuchte den entsetzlichen Ort. Beim Schreiben der Reportage vergaß ich mich und mein Thema so sehr, daß ich statt des spießigen Operettenhotels die Blues-Stücke beschrieb, die ich auf dem Weg dorthin im Auto gehört hatte. Erst die Erkenntnis: »My gal is gone and cryin’ won’t bring her back.« Und dann das Interesse: »You’ll miss me baby like I’m missin’ you.« Immerhin gab es 2000 Mark Ausfallhonorar.
Kuba und Kolumbien mit seinen kaffeebraunen Frauen gingen mir nicht aus dem Kopf. Vor allem, wenn der neue Trend wirklich das ökologisch vernünftige Zuhausehockenbleiben vor dem Bildschirm und das Unterstützen des heimischen Gastronomiegewerbes sein sollte, dann war es Zeit für mich, eine Reise zu tun und etwas zu erleben. Wenn etwas sinnstiftend ist, dann gegen den Trend zu leben. Ich fuhr nach Hamburg zu meinem Verlag und machte dem Programmchef klar,
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