Aus dem Leben eines Lohnschreibers
sich auf der Buchmesse noch nie gestellt. Eigentlich schade.
Die Paradiesvögel sterben aus. Hat ja auch keinen Sinn, sich mordsmäßig herauszuputzen. Wie sollten dann die Bücher neben einem standhalten. Byron, Puschkin, Oscar Wilde waren große Dandys und große Autoren. »Man kann ein guter Dichter sein und trotzdem auf die Schönheit seiner Manschetten Wert legen«, läßt Puschkin seinen Eugen Onegin sagen. Funktioniert heute nicht mehr. Ein Autor, der sich aufzäumen würde wie Karl Lagerfeld, wäre schlecht beraten. Die Fernsehteams wären hinter ihm her, aber seine Bücher, egal wie gut oder schlecht, würden belächelt werden.
Die moderne Unauffälligkeit von uns Autoren hat auch damit zu tun, daß wir uns als Beobachter fühlen. Das ist unser Job. Deswegen kleiden wir uns gern unscheinbar wie Detektive. Unter den Hunderten von Autoren gibt es eine Handvoll, deren Kleidung ihr auffallendes Markenzeichen ist. Es gibt den blaugelben Kanarienvogel, den Mann mit dem mittelalterlichen Wams und der Zimmermannshose, den allseits beliebten Rauschebart im Jeansanzug, den bücherschreibenden Verleger mit den roten Socken, den Religions- oder Systemkritiker im Schlabberpullover. Manchmal ist Tom Wolfe aus Amerika auf der Messe, und man fragt sich, wie der seine weißen Anzüge sauber hält. Martin Walser braucht nicht seinen verwegenen Hut, Verve und Würde sind auffallend genug. Ähnliches gilt für Günter Grass, den anderen Patriarchen, der mit seinen unbegreiflich dunklen Haaren in einem grauen Anzug unvorstellbar ist: Grassens gemütliche Herrenhausklamotten sind meist in herbstlich gedeckten Cognac-Tönen gehalten, denen man die Kritik am uniformen Kapitalismus ansieht. Enzensberger, der dritte unserer älteren Autorenbrüder, geht auf keine Buchmesse, und wenn, würde er auf ein Höchstmaß an Unauffälligkeit Wert legen und nur von Eingeweihten erkannt werden. Lästig ihm nachlaufenden Liebhaberinnen und Liebhabern seiner Bücher könnte er sich mit dem Hinweis entziehen, dem besagten Dichter nur ähnlich zu sehen.
Auf der Leipziger Messe kann es passieren, daß man ab und an noch etwas zu sehen bekommt, was es in Frankfurt nicht gibt: zum Beispiel sozialistische Honecker-Sandalen am Autorenfuß. Mit Socken. Sicher sehr angenehm bei der Lauferei und der Hitze in den Hallen. Auch so kann man Zeichen setzen und auf Konventionen pfeifen.
Turnschuhe zum Anzug sind auch ein Zeichen: Ich bin kein geschleckter Mitläufer, soll das heißen. Wirkt aber heute nicht mehr alternativ, sondern siech: als habe man mit den Folgen eines Bandscheibenvorfalls zu tun. Übrigens sollte man nicht versuchen, Anzüge mit weit aufgeknöpften Hemden salopper erscheinen zu lassen. Das sieht nicht locker aus, sondern berndeichingerhaft und ranschmeißerisch, als wolle man Kontakte mit der Filmbranche aufnehmen und sei streberhaft bemüht, einen Drehbuchvertrag an Land zu ziehen.
Ich trage jetzt in den nächsten Jahren noch zähneknirschend meinen Spießeranzug auf, auch wenn der Hosenboden zu glänzen beginnt. Damit weise ich dann auf die schlechte finanzielle Lage der Autoren hin. Was das Zurschaustellen der Individualität betrifft, verlasse ich mich auf die zunehmenden Falten meiner Visage und studiere einen irre glühenden Poetenblick ein, als ob ich 90 Prozent eines Romans auf der Festplatte hätte, dessen Erscheinen die deutsche Literatur der letzten 20 Jahre alt aussehen lassen wird.
Von dem Vorschuß dieses Romans besorge ich mir dann wieder eine unauffällige Kaschmirjacke, deren kolossaler Wert nur kundigen Controllern auffällt. Vielleicht gibt es bis dahin Controllerinnen. Die Emanzipation schreitet voran. Auch ist es, nachdem man als artiger Mann jahrzehntelang hübsche Frauenkleidung gelobt und besungen hat, an der Zeit, von Frauen ein bißchen befummelt und zurückgelobt zu werden. Lang genug bin ich mit meinem hassenswerten grauen Anzug in selbstverschuldeter Unmündigkeit zusammen mit anderen Autorenkollegen in ebensolchen Anzügen von betrunkenen, die Wahrheit erkennenden Kantianerinnen und anderen Frauen mit Blicken bestraft worden, die nur bedeuten konnten: Glaubt ja nicht, daß ihr Eindruck macht, ihr uniformierten Schreibmäuse.
Sexy ist Kaschmir allerdings nicht. Man kommt damit als bescheidener, aber nicht unvermögender Antiprotz rüber. Ideal, wenn man vorhat, sich als Hochstapler durchzuschlagen. Die Schreiberei ist ein unsicheres Geschäft. Da kann ein zweites Standbein nicht schaden.
Wenn es so
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