Aus dem Leben eines Lohnschreibers
Altersversorgung. Als das Buch dann erschienen war, brachte es weder Geld noch Glück, noch Ruhm. Es interessierte weder Kinder noch Eltern, erstaunlicherweise aber einen kleinen chinesischen Verlag, der sich vielleicht wehmütig an Mao erinnert fühlte. Denn in meinem Buch werden die Kinder ständig zum Widerstand aufgerufen. Über den Widerstand hatte auch Mao schlaue Sachen geschrieben und damit von seinen Greueltaten abgelenkt.
Eine in Deutschland lebende chinesische Künstlerin mit guten Drähten zu chinesischen Strippenziehern und ein Hamburger Reisemagazin hatten die Literaten-Gruppe nach undurchschaubaren Kriterien zusammengestellt. Zehn Tage würden wir Schanghai zu sehen bekommen, dann sollte jeder von uns einen längeren Bericht für die dortige Zeitung »Shanghai Today« schreiben, der auch in einem Bildband erscheinen würde: »Deutsche Dichter sehen Schanghai.« Natürlich sollten wir auch in westliche Medien Kunde von der Fortschrittlichkeit der Stadt am Gelben Meer bringen. Es war im Sommer 2002. Die Nennung des Jahres ist insofern wichtig, als China rasant wächst und sich von Jahr zu Jahr alles verändert. Man hat ehrfurchtsvoll von der 16-Millionenstadt berichtet und von Wolkenkratzern, die fast einen halben Kilometer hoch sind, kaum ist der Text wenig später erschienen, beträgt die Einwohnerzahl bereits 18 oder 20 Millionen, und die höchsten Hochhäuser sind schon wieder 100 Meter höher.
Vorsicht, ihr werdet instrumentalisiert, hieß es hier vor der Reise von politisch korrekten Kollegen. Den von den Goetheinstituten verschickten Künstlern ruft das seltsamerweise niemand nach. Ich beruhigte die Mahner und Warner: Ich würde in Schanghai behaupten, Befürworter der Todesstrafe zu sein, die in Deutschland leider wenig Zuspruch fände, würde mir mit diesem Geständnis Zugang in düstere Gefängnisse erschleichen, Hinrichtungen beiwohnen und dann in hiesigen Medien über die grausamen Justizmethoden des turbokapitalistischen Kommunistenriesenreichs berichten, mit dem alle Investoren so gierig paktieren wollen.
Die chinesische Organisationskunst ist enorm: Mit Sonderkurieren kamen Bildbände und CD-ROMs, auf daß man sich auf das gigantische und an Superlativen reiche Schanghai vorbereiten könne. Dann die betrübliche Botschaft: Unterbringung nicht wie geplant im zentralen »Park Hotel«, von dem ich gelesen und auf dessen alten Kolonialstil ich mich gefreut hatte, sondern in einem »Holiday Inn« im neuen Stadtteil Pudong. In bestem Englisch ließ der Mensch der Stadtregierung in seiner E-Mail durchblicken, daß das moderne Hotel für uns angemessener sei. Wie sich später herausstellte, keine schlitzohrige Sparmaßnahme, wie ich argwöhnte, sondern der volle Ernst: je moderner, desto gastfreundlicher. Das »Holiday Inn« ist um einiges teurer als das ehrwürdige »Park Hotel«, aus dessen Waschbecken es angeblich modrig riecht. Das wollte man uns Langnasen nicht zumuten.
Ich freute mich auf die Reise mit den anderen Kollegen, auf die allesamt das Schmuckwort »hochkarätig« zutraf. Ein paar kannte ich und hatte sie schon länger nicht gesehen, ein paar würde ich kennenlernen, Ingo Schulze zum Beispiel. Doch plötzlich war keiner von denen mehr mit von der Partie. Einer schrieb doch lieber seinen Roman zu Ende, einer mußte ein Drehbuch umändern, einer wollte seine schwangere Frau nicht allein lassen. So kam auf die Schnelle ein etwas scheckiges Grüppchen von Ersatzleuten zusammen: Zwei Dokumentarfilmer, zwei Reisejournalisten, ein netter, in London lebender Italiener, der Werbetexte schrieb und aus ihm selbst nicht recht erfindlichen Gründen als deutschsprachiger Lyriker mitreiste. Warum auch nicht. Ein bißchen vereintes Europa eben. Wir Europäer können zwischen den Ländern, Sprachen und den geheimnisvollen Tätigkeiten der Menschen im fernen Ostasien auch nicht immer unterscheiden. Dann war da noch eine junge Autorin, die kurz zuvor in Klagenfurt einen Literaturpreis bekommen hatte - neben mir die einzige belletristisch schreibende Person.
Die Ankunft am neuen Flughafen Schanghai-Pudong glich dann auch einem mittleren Staatsempfang. Jeder von uns bekam von verwirrend süßen Chinesinnen einen christbaumgroßen Blumenstrauß mit irritierend obszönen Blüten in den Arm gedrückt, dann ging es im eisgekühlten Auto durch die brütend feuchte Hitze Richtung Stadt, entlang der Trasse, auf der bald der Transrapid als schnellster Zug der Welt alle Rekorde brechen und dieser
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