Aus dem Leben eines Lohnschreibers
auch »Im Palais«. Sie wies mich auf die Internetseite hin, die ich auch gleich aufrief. Die Sendung, zu der ich eingeladen wurde, war schon angezeigt. Es ging um Weihnachten.
»Wollen Sie nicht wissen, worum es geht«, fragte die Redakteurin. »Doch«, sagte ich. Ich wollte nicht so eilfertig und interessiert erscheinen. »Es geht um Weihnachten«, sagte sie. »Auch du lieber Gott«, sagte ich. »Am besten, ich lese Ihnen vor, wie wir die Sendung angekündigt haben«, sagte sie. »Bitte«, sagte ich. Sie las den Text, und ich las ihn auf der Homepage des Senders mit: »Alle Jahre wieder - alles wie immer? Was Weihnachten uns bedeutet. Die Lebkuchenherzen liegen bereits seit dem Spätsommer in den Regalen der Supermärkte. Seit November weihnachtet es unübersehbar, die Sehnsucht nach festlichen Gefühlen und Geschenken wird marktstrategisch entwickelt und gefördert. Ein Fest zwischen Shoppingevent, Krisenstimmung und Wertewandel. Konsumrausch, die beliebte deutsche Ersatzreligion, ist durch wirtschaftliche Tiefschläge und Zukunftsängste kein selbstverständliches Ritual mehr. Trotzdem, Weihnachten ist das einzige Fest, das von gemeinsamen Traditionen und Werten geprägt wird. Wie wichtig ist Weihnachten in einer Zeit der massenhaften Verunsicherung und Entwurzelung?«
»Hm«, machte ich. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich nie wieder zu Weihnachten zu äußern. Ich habe dies nämlich im Lauf meines Autorenlebens ein, wenn nicht zwei Dutzend Mal getan, ich habe alles gesagt, was man gegen Weihnachten sagen kann, erst vor drei Wochen hatte ich mit innerem Übersättigungsgrollen meinen letzten soundsovielten Weihnachtstext verfaßt. Ich habe in edlen Eßzeitschriften Marzipan und Gänsebraten verhöhnt und aus der Dose gelöffelte Linsensuppe als Gericht für den Heiligen Abend empfohlen. Ich habe in Frauenzeitschriften den Leserinnen geraten, sich nicht wie die Rauschgoldengel anzuziehen, sondern mit der ältesten Jeans der Festlichkeit zu trotzen. Immer gegen den Strich. Ich habe mich gegen den Papst und seinen Segen verwahrt und die Wohlstandskinder beschimpft, die ihren Eltern zu Weihnachten Gutscheine für das dreimalige Ausräumen der Spülmaschine schenken. Manche Monatszeitschriften haben lange Vorlaufzeiten und rufen Mitte August an, wenn man gerade zum Baden gehen will, um rechtzeitig einen Antiweihnachtstext zu bestellen: »Kann ruhig schön scharf sein, sparen Sie bitte nicht mit Bosheit.« Die Antwort kann in dem Fall nur lauten: »Wenn Sie nicht mit dem Honorar sparen.« Wenn sie sich zieren, muß man sagen, daß man eine Schmerzensgeldzulage möchte, weil es qualvoll ist, im Sommer an den Winter denken zu müssen.
Weil sich in der Weihnachtszeit in den Buchhandlungen die Anthologien mit lieblichen Texten zur Stillen Nacht stapeln, muß es für die Weihnachtsgegner auch Bücher geben, die dann zum Beispiel »Schrille Nacht« heißen. Auch da hatte ich mitgewirkt. Sogar zwei eigene kleine komplette Weihnachts-Antiromane hatte ich geschrieben, einen über die Erlebnisse eines Callgirls am Heiligen Abend, einen über die Ermordung eines Vatikanmitarbeiters, der die Aufzeichnungen eines der Heiligen Drei Könige entdeckt hatte, aus denen hervorgeht, daß Christi Geburt eindeutig ein inszenierter Bluff gewesen war und das ganze Christentum somit auf einem Betrug basiert.
»Also Weihnachten - ich weiß nicht«, sagte ich daher ziemlich ehrlich. Die Redakteurin ging nicht auf meinen ratlosen Seufzer ein. Das Gespräch werde diesmal von Herrn Stölzl geleitet, sagte sie und nannte jetzt ein paar Namen von eingeladenen Gästen. Bischof Huber sei angefragt, befinde sich aber gerade in Somalia oder im Sudan, sein Kommen sei noch fraglich. »Dieser Evangelenboß?« fragte ich. »Genau, wenn Sie so wollen, der Evangelenboß«, hieß es. Fest zugesagt habe unter anderen schon Pastor oder Pfarrer Fliege.
Ich kenne das Spiel. Egal ob man zu Beiträgen in Anthologien oder in Zeitschriften oder zu Aufritten in Talkshows eingeladen wird: mit populären Namen und Hintergrundwissen (Bischof auf Geheimmission in Afrika) wollen sie einem immer suggerieren, wie wichtig und ehrenvoll die Einladung ist und wie hochkarätig die Angelegenheit.
Meine Unlust, an der Talkshow teilzunehmen, stieg zunehmend, anderseits war mir eingefallen, wen ich in Berlin alles besuchen könnte, und daß ich unbedingt ein paar Bilder von Adolf Menzel sehen wollte. Und das würde nichts kosten, sondern sogar etwas einbringen.
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