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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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ich, daß meine Stimme schon nicht mehr ganz so unwirsch war, als ich weiter standhaft ablehnte: Ich käme mir nicht namhaft vor, aber ehrlich gesagt zu ernsthaft, um nicht zu sagen zu seriös, erstens für diese Frage, zweitens, wenn Sie erlauben, für Ihr Blatt!
    Eine Beleidigung, dachte ich, damit wäre das Ansinnen vom Tisch. Keineswegs. Wir sind nicht die »Zeit«, wir sind nicht der »Spiegel«, hieß es, wir wollen ja auch nur eine halbe Schreibmaschinenseite; ich könne schreiben, was ich wolle, auch daß es den Weihnachtsmann nicht gäbe, könne ich schreiben, aber ich müsse mitmachen, ich könne doch so peppige Texte schreiben. Und dann, nach einer Pause, der Versuch, eine weitere Hemmschwelle abzubauen: Gabriele Wohmann und Wolf Wondratschek seien auch angefragt und würden mitmachen, und über die Gesellschaft könne ich mich ja wohl nicht beklagen.
    Zum Glück fiel mir ein Einwurf ein: Ob man nur auf Autoren aus sei, deren Nachname mit dem Buchstaben W beginne? Sähe das nicht ein bißchen seltsam aus, wenn noch ein Autor mit W dazukäme? W wie Weihnachtsmann?
    Was für ein komischer Zufall, hieß es, das sei der Redaktion noch gar nicht aufgefallen. Aber das mache doch nichts. Und dann beiläufig: Das Honorar betrage übrigens 1000 Mark. Und gleich großzügig hinterher: Aber ich könne es mir bis Ende der Woche noch überlegen. Und zum Abschied: Ich könne das, ich müsse das. Und abschließend neckisch: Vergessen Sie nicht, Ihre Bankverbindung auf das Manuskript zu schreiben.
     
    Stunde der Selbstbesinnung. Kann man es sich leisten, für eine Klatschillustrierte zu schreiben? Würde ich selbst nicht über jeden Kollegen den Kopf schütteln, der als Autor in so einem Blatt einen Auftritt hätte? Wären nicht ein leichter Grusel und ein pflaumenweicher Schrecken vermischt mit einem boshaften Mitleid die Gefühle, die mich bei der Entdeckung heimsuchten? Vermutlich würde mir der bittere Satz »Hat der das nötig?« durch den Kopf gehen, wenn ich davon erführe - und sehr wahrscheinlich würden auch meine Kollegen eben dies denken, wenn sie von meiner Mitarbeit Wind bekämen: Hat der das nötig?
    Andererseits: Ist das nicht ein bißchen albern und hysterisch und kulturetepetete gedacht? Und vor allem: Kann ich es mir leisten, auf 1000 Mark zu verzichten? Aber wenn die mich nicht erreicht hätten, dann wäre ich auch ohne die schöne Summe ausgekommen! Mit 14 Prozent Mehrwertsteuer wären es aber sogar 1140 Mark, die zunächst einmal auf mein Konto flössen. Und das vor Weihnachten! Schließlich hatte ich als freier Autor keine Weihnachtszulage zu erwarten. - Weihnachtszulage, dreizehntes Monatsgehalt, heute Fremdwörter aus den fetten Jahren.
    Noch war es Adventszeit 1987 und nicht Spätsommer 1988, Franz Xaver Kroetz schrieb noch nicht aus der Olympiastadt Seoul exklusiv für Springers »Welt« und hatte damit eine weitere Hemmschwelle niedergerissen, die von ehemals hochherzigen linken Beschlüssen übriggeblieben waren, nicht für fragwürdige Publikationen zu schreiben. Die Berliner Mauer stand noch felsenfest, Axel Springer hatte mit seinem deutschen Wiedervereinigungsverlangen im nachhinein noch nicht recht bekommen und war in -diesem Punkt posthum vom penetranten Schmuddelreaktionär zum seriösen politischen Propheten geworden. Allerdings gehörte die »Bunte Illustrierte« nicht zu Springer, sondern zum Burda-Verlag, also halb so schlimm, oder?
    Im übrigen war meine Entscheidung weniger politischer Natur als eine Frage des Stils. Damals hatten Stilfragen noch ein ideologisches Fundament und bewegten sich nicht belanglos zwischen cool und uncool hin und her.
    Von einer kaum zu ertragenden Peinlichkeit würde das Umfeld sein, trotz Wohmann und Wondratschek und wem auch immer. Aber war es nicht auch ein Experiment? Sollte es nicht möglich sein, einen Text zu verfassen, zu dem ich stehen konnte, der nicht völlig blödsinnig war, und der in dem klatschillustrierten Umfeld standhalten würde?
    Den »namhaften Autor« noch im Ohr und die 1140 Mark vor Augen erschien es mir plötzlich geradezu als eine Aufgabe, ob ich einen Text zuwege bringen könnte, in dem ich einem siebenjährigen Kind tatsächlich eine Antwort auf die Frage nach der Weihnachtsmann-Existenz geben würde, ohne mich selbst dabei zu verraten.
    Ich holte tief Luft, setzte mich an die Schreibmaschine, donnerte los, konnte bei einer halben Seite gar nicht bremsen, und schon war in zehn Minuten eine ganze Seite fertig. Der Gedanke,

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