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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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hielt. Ich hatte eher befürchtet, jemand würde mir vorwerfen, den oft für die Nazizeit angewendeten Ausdruck »innere Emigration« zu verwenden und damit Weihnachten leichtfertig mit Hitlerdeutschland gleichzusetzen. Statt dessen war in der Redaktion dieser edlen Palais-Talkshow meine Ironie offenbar überlesen worden. Man hatte meinen zynisch schillernden Aufruf zum ruhigen Daheimbleiben für bare Münze genommen und daher auf meine positiven Weihnachtsgefühle geschlossen.
    »Pisa«, dachte ich. Was, wenn die nächste Generation nicht mehr in der Lage ist, ironische Texte zu lesen? Dann kann ich einpacken. Das wäre noch schlimmer als Analphabetismus und Legasthenie total.
    »Also gegen Weihnachten, das geht nicht«, sagte die Redakteurin, »diese Position ist schon besetzt, da ist jemand von der ›taz‹ da.«
    Ich versuchte es doch noch. Plötzlicher Ehrgeizanfall. Dabei sein ist alles. Im Zweifelsfall würde ich meine Honorarforderungen zurückschrauben und mich bei einem Aufstöhnen der Redakteurin beim Thema Geld nachgiebig wie ein pflaumenweicher Streikbrecher zeigen. Mich notfalls mit einem symbolischen Honorar von einem Euro zufriedengeben. Ich wollte Jürgen Fliege lebendig erleben. Pfundstyp vermutlich. Ich war bereit, mein Vorurteil zu revidieren. Mein Beitrag zum Weihnachtsfrieden. Mit ihm beim Bierchen danach gegen die Verbrecherbausparkassen kämpfen. Stölzl fragen, was er von Altkanzler Kohl wirklich hält. Mal ehrlich, Stölzl! Ich wollte anderntags ein paar Berliner Freunde besuchen. Unbedingt. Ich wollte auch heroisch gegen das Verkennen der Ironie kämpfen (und damit gegen das Wegrationalisieren meines Arbeitsplatzes als freier Autor). Ich hatte den Ehrgeiz, mir selbst und auch dieser Redakteurin am Telefon meine Position klarzumachen. Wer bin ich? Wo stehe ich? Sich ab und zu diese Frage zu stellen kann nicht schaden.
    Was heißt dafür? Was heißt dagegen? Ich sagte in etwa: Ich bin doch nicht gegen Weihnachten. Im Gegenteil. Ich bin ein Weihnachtsbefürworter. Weihnachten ist mein Wirtstier. Als freier Autor bin ich ein Weihnachtsparasit. Alljährlich beziehe ich mein Weihnachtgeld, das einige Angestellten trotz Pleitedeutschland noch immer einstreichen, aus Texten über Weihnachten. Ich hasse Weihnachtsmärkte, aber Weihnachten ist mein Markt, verstehen Sie. Ich bediene die Opposition, die Weihnachtsgegner. Ich schreibe blasphemisch oder pornographisch oder sonstwie höhnisch über Weihnachten, und weil der Weihnachtsrummel natürlicherweise bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Leute Verdruß erzeugt, bediene ich das Marktsegment derer, die von Weihnachten bedient sind. Ich lindere das Los derer, die da leiden, wenn sie von ihren quengelnden Kindern oder Schwiegermüttern auf Christkindlmärkte verschleppt werden und denen vom süßen Glühwein übel ist. Die freuen sich, wenn da ein Zelt steht, in dem keine Krippe zu sehen ist, sondern ein Autor eine Geschichte vorliest, in der das Event von Bethlehem als Beginn eines großen Humbugs beschrieben wird. Hey! Das ist wichtig. Angesichts vernagelter Muselmanen kann man nicht oft genug vorführen, was kultivierte Religionsverspottung ist! Nicht neue Christengläubigkeit muß man dem Islam entgegensetzen, sondern die Schönheit des Unglaubens. Weihnachten ist mein Zubrot, auch ich labe mich an diesem Kuchen, warum also sollte ich dagegen sein. »Sind Sie wirklich sicher, daß diese Position schon besetzt ist?« fragte ich abschließend, aber ich ahnte schon, daß ich verloren hatte. Und noch während die Redakteurin schwieg, setzte der Selbsttröstungsmechanismus ein: Hätte eh wieder mal nichts von dem loswerden können, was ich zu verkünden habe, der TV-versierte Fliege hätte Weihnachten vermutlich harscher hergenommen als ich, der »taz«-Mensch hätte mir religiöse Untoleranz und Ausländerfeindlichkeit vorgeworfen und keiner meiner Berliner Freunde hätte Zeit gehabt, so kurz vor Weihnachten,
    Die Redakteurin hatte mir geduldig zugehört. Ihr Schlußwort war routiniert und diplomatisch: »Wenn wir das Gefühl haben, Sie für unsere Runde doch noch brauchen zu können, hören Sie noch einmal von uns.«
     
    Es gibt ein Nachspiel. So war es nun nicht, daß mich, was diese Berliner Talkshow betrifft, das Ein- und Ausgeladenwerden weiter beschäftigte. Ein Sonderangebot von günstigen weichen Wollpullovern, das ich nicht rechtzeitig wahrnehme und von dem ich aus dummer Unentschlossenheit kein einziges Stück ergattere, treibt mich

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