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Aus dem Leben eines Lohnschreibers

Titel: Aus dem Leben eines Lohnschreibers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Naumann wäre mir als Gastgeber zwar lieber gewesen als Stölzl, andererseits kann man sich mit Konservativen besser zanken. Mal wieder ein bißchen Reklame für sich und seine Bücher machen konnte auch nicht schaden. Und warum nicht mal diesen Jürgen Fliege aus nächster Nähe erleben, dessen Sendungen ich an so manchen regnerischen Hotelnachmittagen vor Lesungen eine Weile angestarrt und dann schleunigst weggezappt hatte. Was ist das für einer? Hat ja keinen Sinn, immer nur über Gesülze und Gutmenschentum die intellektuellen Augen zu verdrehen. Das tun alle. Vielleicht ist er der letzte wirklich volksnahe urige Kumpel. Mischung aus Urchrist und Urkommunist - etwas in der Richtung. Das Lehrreichste an Talkshows sind für die Teilnehmer sowieso die Backstage-Überraschungen: Gesinnungsgenossen erweisen sich als Ekel, vermeintliche Feinde als dufte Typen. Lehrreich auch, daß man nie dazu kommt, das zu sagen, was einem plötzlich durch den Kopf geht. Auf diese Art beschert einem die Teilnahme an einer Talkshow hinterher gute Gedanken.
     
    Klar, daß sie mich als Stänkerer brauchten, ich kenne mein Los und meine Rolle. Zwar hatte ich mich zum Thema Weihnachten schon ziemlich leergeschrieben, aber es würden mir schon noch ein paar neue Sticheleien einfallen.
    Ich würde versuchen, von der abgenudelten Weihnachtskritik weg zu den Ursprüngen zu kommen. Nicht lustig auf falsches Klingeling schimpfen und Lacher ernten, sondern richtig giftig gegen die Religionen und die ganze verfluchte Gläubigkeit wüten, die genug Unheil brachte und bringt. An das Licht der Aufklärung erinnern und es dem kitschigen Schimmer der Weihnachtsilluminationen entgegenhalten, die ab November und Dezember die Innenstädte versauen und die Vororte mit ihren elektrifizierten Blautannen in den Vorgärten vollkommen unbetretbar machen!
    An all das dachte ich sofort, während ich mich manierlich mit der Redakteurin über dies und das warm plauschte. Sie erklärte mir zum wiederholten Mal, daß diese Berliner Talkshow etwas Besonderes sei, etwas Besseres, etwas Salonartiges in gewisser Weise. Ich hingegen wollte langsam die nicht entscheidende, aber doch lebenswichtige Frage loswerden, wie es denn mit einem Honorar aussehe. Damit nämlich steht es bei Sendungen, die sich als etwas Edles und Besonderes begreifen, nicht zum Besten. Unter 500 tue ich es nicht, nahm ich mir vor. Schließlich ist ein Schreibtag weg. Meist heißt es, für Honorare sei kein Geld da, aber in Ausnahmefällen könne eine »Unkostenpauschale« oder eine »Aufwandsentschädigung« lockergemacht werden. »Ich bin eine Ausnahme«, würde ich sagen.
     
    »Wie feiern Sie denn Weihnachten?« fragte die Redakteurin mit einem Mal fröhlich. Ich freute mich schon, die Frau mit dieser angenehm munteren Stimme vor dem Auftritt in Berlin kennenzulernen und sagte ihr, daß ich es seit dem Erwachsensein der Kinder und dem Nicht-mehr-auf-Erden-Weilen der Alten vor allem genösse, keinen Weihnachtsbaum mehr besorgen zu müssen. Keine einzige Tannen- oder Fichtennadel verunziere die Wohnung. Kein Weihnachtslied werde abgesungen. Keine Adventskerze flackere inniglich und hinterlasse Wachstropfen. Es sei der Himmel. Selbst die mehr oder weniger literarischen Adventskalender, die einem Verlage zuschickten und auch erotische, wie sie einem der »Playboy« zukommen läßt, wenn man mal für ihn geschrieben hat, flögen bei mir drei Minuten nach ihrer Ankunft in den Müll. Die Redakteurin schwieg, offenbar beeindruckt von meinem nicht ganz schwunglosen Wegwischen des ganzen weihnachtlichen Hokuspokus. Ich wollte ihr einen kleinen Vorgeschmack geben auf meinen Auftritt in der Talkshow. Sie schwieg so begeistert, daß ich nachfragte: »Sind Sie noch dran?« - »Jaja«, sagte sie, offenbar noch ganz ergriffen von meiner Vehemenz. Ich erinnerte mich an andere Einladungen zu Talkshows. Manchmal sagten die Redakteure lachend, wenn ich in Fahrt kam: »Stopp, stopp, verschießen Sie Ihr Pulver nicht! Heben Sie sich das für unsere Show auf!« Das sagte meine Weihnachtsfrau nicht. Fast vermißte ich diese Worte. »Schön, daß Sie dieses Thema machen«, sagte ich, und schäumte ein bißchen los: es geht ja weniger um Weihnachten, das ist ja nun mehr ein Popanz als ein wirklicher Gegner, es geht mehr um den neuen Konservatismus, der sich wieder ausbreitet. Die Leute heiraten in Weiß, lassen ihre Kinder taufen und möchten, daß ein Geistlicher sie begleitet, wenn sie zu Grabe getragen werden. Es ist,

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