Aus dem Leben eines Lohnschreibers
wirklich um, nicht die Nichtteilnahme an einer Fernsehrunde. Über ungekaufte Pullover allerdings lamentiert man nicht, dieses Versäumnis interessiert niemanden. Von einer Talkshow-Absage hingegen läßt sich blumig berichten, auch wenn das Ganze ja eigentlich keine Geschichte, sondern nur ein vielleicht zehnminütiges Telefongespräch war. Ich habe ein paar Leuten von dieser Absage erzählt, unter anderem Alexander Gorkow, der nicht nur Redakteur bei der »Süddeutschen Zeitung« ist, sondern auch Schriftsteller und daher weiß, wie man sich als Loser fühlt und stilisiert. Er forderte mich auf, die Geschichte aufzuschreiben.
Meine Teilnahme an der Talkshow wäre absolut mittelmäßig und peinlich gewesen. Die Geschichte zu veröffentlichen, wie es nicht dazu kam, hat mir nicht nur sehr viel mehr Spaß gemacht, sondern auch neue Bekanntschaften beschert - und im übrigen exakt die 500 Euro Honorar, die ich vom Sender vermutlich nicht bekommen hätte.
Ein paar Tage, nachdem pünktlich vor Weihnachten die Weihnachtsgeschichte über meine Abwesenheit bei der Weihnachtstalkshow »Im Palais« erschienen war, in den ersten Tagen des neuen Jahres 2005 also, bekam ich Post vom Berliner Sender. Meine Adresse war mit der Hand aufs Kuvert geschrieben. Ich habe den Brief schweren Herzens geöffnet, denn ich war sicher, es würde die Redakteurin sein, mit der ich telefoniert hatte. In gewisser Weise hatte ich sie verraten. Sie hatte doch nur ihren Job getan. Der Brief war mit der Hand geschrieben. Wenn man persönlich beleidigt wird und bewegt ist, ist einem der Computer zu unpersönlich und man greift zum verläßlichen Füller. Ich weiß nicht mehr, wie der Brief begann, jedenfalls nahm er gleich Bezug auf meinen Artikel. Ich las mit Bangen weiter und rechnete beim Lesen jeder Zeile damit, daß in der nächsten Zeile der Zorn der Redakteurin ausbrechen werde: Ich hätte mich auf ihre Kosten amüsiert, hoffentlich hätte ich ein nettes Weihnachten gehabt, ihres sei dank meiner Infamie sehr unerfreulich gewesen. In Sekunden ballte sich in meinem Kopf ein seitenlanger Entschuldigungsbrief zusammen, den ich sofort schreiben würde. Der Brief der Redakteurin wurde immer witziger und sarkastischer, er war am Ende der ersten Seite von einer geradezu überirdischen Heiterkeit. Das alles war natürlich nur schwärzeste Ironie, die gleich in Haß und Verbitterung umschlagen würde.
Doch der Brief blieb heiter bis zum Schluß. Sie beglückwünschte mich zu meinem Telefonprotokoll, genau so, wie ich es geschildert habe, funktioniere das Fernsehen. Diese Frau, die ich in meiner Geschichte gemeinerweise der Ironieunfähigkeit bezichtigt hatte, war von einer seltenen und bewundernswerten Souveränität. Ich brauchte mich nicht bei ihr zu entschuldigen, ich hatte sie nicht verletzt, sondern entzückt, ich wollte mich jetzt nur stürmisch für ihr Verständnis bedanken. Bei unserem Telefongespräch neulich hatte ich nicht auf ihren Namen geachtet, und jetzt hatte ich Schwierigkeiten, die Unterschrift zu entziffern.
Nach einer halben Stunde graphologischer Studien und einer kurzen Internetrecherche wußte ich Bescheid: Nicht von der Redakteurin war der Brief, sondern von der Intendantin des Senders, die sich von mir gerührt an eigene frühe Talkshowpeinlichkeiten erinnert gefühlt hatte. Die einzige Frau in der sonst rein männlichen Intendantenbande der deutschen Sendeanstalten, erfuhr ich bei der Gelegenheit.
Ob die Redakteurin des Berliner Senders mir verziehen hat, ob sie sich vielleicht auch nur amüsiert hat - ich weiß es nicht. Ich hatte ihr übrigens tatsächlich unrecht getan, was die Ironieunfähigkeit betrifft, allerdings ohne mein Wissen: Eine Kolumne von mir hatte ja den Ausschlag gegeben, mich als Weihnachtsbefürworter einzuladen. Weil die Pro-Weihnachten-Argumente in dieser Glosse blanke Ironie gewesen waren, hatte ich am Verstand der Redakteurin gezweifelt. Das muß jetzt endlich feierlich zurückgenommen werden. Vielmehr ist heftig am Verstand der kulturbeflissenen Zeitschrift »Cicero« zu zweifeln. Zum Zeitpunkt des Telefongesprächs war zwar das Dezemberheft mit meiner Glosse schon erschienen, mir aber noch nicht zugeschickt worden. Ich wußte also nicht, auf welche Weise ein offenbar übergeschnappter Redakteur oder eine übergeschnappte Redakteurin in meinem Text herumgefuhrwerkt hatten. Schon bei der Bestellung des Textes hatten mich seltsame Gefühle beschlichen, weil keine halbwegs intelligente Redaktion
Weitere Kostenlose Bücher