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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lautsprecher eines Batterie-Radios im Schreibstubenwagen tönte die Stimme des Nachrichtensprechers des Großdeutschen Rundfunks. Eine Sondermeldung. In der Nordsee ein Geleitzug angegriffen, 300.000 Tonnen versenkt. Im Westen erfolgreicher Abwehrkampf westlich Straßburgs. In Ungarn Angriffe der 6. SS-Panzerarmee gegen Budapest. Aber kein Wort von Ostpreußen, nichts von der Weichsel, vom Narew, vom Njemen und der Memel. Erst am Ende, ganz beiläufig, ein Satz: »Deutsche Verbände stehen in einem erbitterten Abwehrkampf gegen starke russische Kräfte im Weichselbogen.«
    »Sind wir nichts?« sagte ein alter, weißbärtiger, riesiger Bauer in der ersten Reihe der lebenden Mauer auf der Kreuzung. »Hast du's gehört, Major? Nichts von uns! Und dabei ist das ganze Land auf der Straße. Schießt nur … hinter uns kommen andere, und immer wieder andere, bis ihr keine Munition mehr habt … Wir ziehen nach Danzig, und ihr hindert uns nicht mehr daran …«
    Die beiden Mauern blieben stehen. Die Offiziere begannen zu verhandeln. Ein Oberst unterbreitete einen Vorschlag. »Ihr zieht in Dorfgemeinschaften«, sagte er. »Gut. Machen wir es so. Wenn ein Dorf durch ist, darf eine Kolonne von uns weiter. Dann das nächste Dorf, dann wir … und so weiter. Ein vernünftiger Rhythmus, das müssen Sie zugeben.«
    Darauf einigte man sich.
    Das Dorf Altkelbunken zog vorbei, dann wurde die Kreuzung freigegeben für zwanzig Militärfahrzeuge. Ihnen folgte das Dorf Krutinnen. Darauf zwei Werkstätten und ein mobiles Verpflegungslager. Hinter ihm schloß sich das Dorf Adamsverdruß an.
    »Besser kann's gar nicht sein«, sagte Opa Jochen zufrieden. »Zu fressen in Hülle und Fülle vor uns. Julius, sag dem Pfarrer, er soll immer hart am Mann bleiben! Haste schon mal was von Piraten gelesen, Jungchen?«
    Paskuleit erriet die Gedanken des Alten und tippte sich an die Stirn. ›Brüll-Jochen‹ schrie auf, – aber der Treck ging weiter, und er mußte sich um die Pferde kümmern. Dicke Eisbrocken hingen ihnen an Mähnen und Beinen und an den Nüsterhaaren. Es begann wieder zu schneien.
    Sie zogen fünf Tage hinter den Verpflegungswagen her.
    Nach Allenstein kamen sie gar nicht mehr hinein. Es war abgeriegelt, eine neue Frontlinie baute sich hier auf, der Russe stieß schneller vor, als man berechnet hatte. Der Treck wurde bei Alt-Märtinsdorf auf eine schmale Landstraße umgeleitet in Richtung Wartenburg. Schon bei Passenheim war ein großer Teil der Flüchtlinge abgeschwenkt in Richtung Bischofsburg. Nach Norden, nach Heilsberg, und von dort über Landsberg, Zinten nach Heiligenbeil. Zum Frischen Haff, dann hinüber auf die Nehrung, und auf dem schmalen Landstreifen westwärts zur Weichselmündung und nach Danzig. Das war das große Ziel.
    Auch Adamsverdruß stand an der Kreuzung Passenheim vor dieser Frage.
    »Nein!« sagte Paskuleit nach einer kurzen Beratung. »Nicht diesen Bogen! Auf schnellstem Wege nach Elbing und dann weiter. Warum wieder nach Osten? Weiß man, was mit Königsberg wird?«
    »Da kommt der Russe nie hin!« rief Felix Baum.
    »Er fängt schon wieder an!« brüllte Opa Jochen. »Warum verklebt ihm keiner die Parteischnauze?! Wir ziehen dahin, wo die Verpflegungskolonne hingeht.«
    »Er denkt nur ans Fressen«, stöhnte Franz Busko, der Geselle. Er hatte in diesen fünf Tagen mit seinem Fahrrad weitere Ausflüge nach vorn unternommen, genau wie Baum, der sogar mit seinem Ausweis nach Allenstein hineingekommen war. Die Kreisleitung war längst fort. Er fand nur verlassene Büros und viel verbranntes Papier. Im Zimmer des Kreisleiters wohnten drei Quartiermacher irgendeines Regimentsstabes.
    »Wir kommen vom Weg ab, sag ich euch! Die ziehen mit dem ganzen Fressen zur kämpfenden Truppe.«
    »Die? Nie!« Paskuleit dachte an den dicken Stabsintendanten im ersten Lastwagen. »Ich bin dafür, daß wir nach Elbing kommen!«
    Was Paskuleit sagte, war immer gut, man wußte das. Also blieben die Adamsverdrusser auf der Straße und ließen Passenheim hinter sich.
    Jeden Abend und jeden Morgen hielt Pfarrer Heydicke einen schnellen Gottesdienst. Dann übernahm Paskuleit die Kutsche, und Busko fuhr den Trecker. Heydicke stand dann auf dem Dach seines Wagens, festgehalten von sechs Händen, blickte zurück über die lange Reihe der Wagen, sprach sein Gebet, segnete die Frauen und Kinder, Greise und Männer und sagte am siebten Tag: »Mein Gott, verlaß sie nicht. Es sind gute Menschen; sie sind mutig und zäh. Bring sie hinaus aus

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