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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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waren im letzten Augenblick aufgebrochen. Das zeigte sich, als sie die Straße von Johannisberg nach Ortelsburg erreichten. Hier stauten sich die Fahrzeuge, verkeilten sich ineinander, nur schrittweise ging es manchmal vorwärts. Soweit man die Straße überblicken konnte: Wagen hinter Wagen, Pferdeköpfe, brüllende Kühe, Traktoren, dazwischen, verloren, geradezu lächerlich, ein paar Autos mit dem roten Winkel auf dem Nummernschild … unabkömmliche Wagen, für den Heimateinsatz nötig, mit Benzinscheinen versorgt. Von allen Seiten wälzten sich die Menschenschlangen heran, vor allem aber von der Grenze, von Fischborn, Gehlenburg, Lyck. Ein anderer großer Treck zog vom Sammelpunkt Neidenburg nach Allenstein, der dritte von Marienwerder nach Marienburg. Sie alle hatten nur ein Ziel: Die Küste. Danzig. Das Meer. Pommern. Mecklenburg. Berlin. Hinein in das unbedrohte Deutschland. Hinüber zu den Brüdern im Westen. Dort fielen zwar jeden Tag Tausende von Bomben, Sicherheit war nirgendwo, aber lieber Tag und Nacht in einem Keller warten und beten, als eine einzige Stunde die rote, erbarmungslose Flut aus den Weiten Rußlands erleben.
    Der Treck aus Adamsverdruß wußte noch nicht – und das war gut so –, daß von allen Seiten die Flüchtenden zusammenströmten. Ihm genügte schon, daß es auf der Straße nach Ortelsburg nicht weiterging.
    »Der Russe holt uns ein!« sagte Paskuleit zu Pfarrer Heydicke, der noch immer an der Spitze fuhr. Es war wie damals, als das Volk aus Ägypten zog und Moses folgte … nur wußte man eins: Dieses rote Meer, das jetzt um sie herum über die Ufer trat, würde sich nicht vor ihnen teilen. »Wenn das hier so weitergeht bis Danzig, können wir uns gleich an den Weg setzen und auf die Russen warten.«
    Ortsgruppenleiter Felix Baum, der seine gelbbraune Uniform gegen seinen Anzug vertauscht hatte, den er früher immer getragen hatte, einen guten derben Bauernanzug mit grüner Joppe, Stiefelhosen, Filzstiefeln und darüber einen gefütterten Mantel, ratterte mit einem Motorrad durch die Wagenreihen der Adamsverdrusser und zog alle Flüche und Bitten auf sich wie ein Magnet. Er hatte kein Gepäck bei sich, dafür auf dem Hintersitz seines Motorrades drei Kanister mit Sprit und im Wagen Paskuleits nochmal zehn Kanister. Außerdem besaß er einen Ausweis der Gauleitung, daß er überall Benzin fassen durfte. Das war jetzt mehr wert als ein ganzer Wagen voller Geld. Solange Baum beim Treck blieb, hatte man Sprit. So glaubte man.
    »Fahr vor und sieh nach, was da los ist!« schrie ihm Paskuleit zu. »Wozu bist du ein Parteibonze?! Da ist doch irgendeiner, der den Weg sperrt! Tritt ihn in den Arsch!«
    Felix Baum donnerte los. Mit seinem Motorrad kam er gut durch alle Stockungen, fuhr Slalom um die dicht an dicht aufgefahrenen Bauernwagen und erreichte nach sechs Kilometern die Weggabelung bei Groß Jerutten. Hier stand ein Hauptmann der Feldgendarmerie mit vier Mann, sperrte die Straße und ließ von Friedrichshof eine lange Militärkolonne auf die Chaussee nach Ortelsburg.
    Troßfahrzeuge, Werkstätten, eine Feldbäckerei, eine Schmiede, Kastenwagen mit gut genährten Stabsintendanten in dicken Lammfellmänteln, eine Divisionsschreibstube, zehn schwere Horch-Wagen mit Stabsoffizieren, dahinter wieder Lastwagen mit Büromaterial und sogar ein vollständiger Musikzug. Aber kein Sanitätsauto, kein Munitionswagen, keine müden, abgekämpften, hohlwangigen Fronttruppen.
    Felix Baum staunte. Dann überkam ihn eine mächtige Wut. Zum erstenmal in seinem Leben vielleicht war er mutig, stand er nicht bloß stramm und gehorchte ohne zu denken. Er sah, wie die Männer an der Spitze des kilometerlangen Flüchtlingstrecks mit dem Hauptmann auf der Kreuzung verhandelten; Bauern, in langen Mänteln, Greise und alte Frauen schrien auf ihn ein, und Baum wußte, daß jede Minute die Schlange der vor den Russen Flüchtenden länger wurde und daß von allen Seiten die sowjetischen Panzerspitzen über die Grenze stießen.
    Er gab Gas, raste mit seinem Motorrad auf die Kreuzung und bremste ein paar Zentimeter vor dem Hauptmann. Der hatte einen roten Kopf von der Kälte und vom dauernden Brüllen, starrte Baum an und schrie ihm etwas zu, was im Lärm der Motoren einer neuen Troßkolonne unterging.
    »Die Straße frei!« schrie Baum zurück. Er mußte sich dazu nahe zu dem Hauptmann vorbeugen. »Da hinten warten Tausende …«
    »Zuerst die Truppe!« brüllte der Hauptmann zurück.
    »Wo sind hier denn

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