Aus dem Nichts ein neues Leben
Ladentür ein Schild gehängt hatten: ›Vorübergehend geschlossen‹.
Hübner von der Konkurrenz entdeckte das Schild als erster und rief sofort Runzenmann an. »Alles Käse!« schrie Runzenmann vor Freude. »Sie sind pleite! Es mußte so kommen, ich hab es geahnt. Dieser Paskuleit mit seinem Ehrlichkeitstick! Ich wette … nächste Woche erfahren wir vom Verband, daß er einen rauschenden Konkurs gebaut hat. Er wird froh sein, wenn wir ihm seinen Laden abkaufen!«
»Daran habe ich auch gedacht und sofort angerufen!« Hübner lachte fett. »Geht keiner an den Apparat.«
»Sag ich's nicht? Faul bis in die letzte Wurzel. Abwarten, Hübner … in einer Woche ist Paskuleit so reif, daß er jedes Angebot akzeptiert.«
In Pirmasens holte Heinrich Ellerkrug die Familie Kurowski vom Bahnhof ab und fuhr sie sofort nach Kaiserslautern in das gerichtsmedizinische Institut. Franz Busko, lang, dürr, in seinem schwarzen Anzug noch trauriger aussehend als Don Quichotte, hatte einen Koffer bei sich, ein uraltes Ding mit verrosteten Schlössern. Als er Ellerkrugs fragenden Blick sah, sagte er:
»Da is die Lederschürze vom Meester drin. Wenn ick mal sterbe, hat er jesagt, bindste mir die um, Franz, verstanden? Ick will in meener Schürze bejraben werden. Ick war'n Schuster und als Schuster will ick vor meenen Herrgott treten.« Busko standen die Tränen in den Augen, er wischte sie mit dem Handrücken weg, aber das Zittern seiner Lippen konnte er nicht wegwischen. »Ich erfüll ihm den letzten Wunsch, det is doch klar …«
»Du mußt jetzt ganz tapfer und stark sein, Erna«, sagte Ellerkrug zu Erna Kurowski, als sie nach Kaiserslautern fuhren. »Jetzt hast du alles allein zu tragen … drei Kinder, die Werkstatt, das Geschäft und den Franz. Und der Ewald ist nun seit vier Jahren vermißt; wer in Gefangenschaft ist, hat längst geschrieben … Erna …«
Sie nickte und legte Ellerkrug die Hand auf den Arm. Eine kleine, aber harte, an Arbeit gewöhnte Hand. »Ich weiß, was du sagen willst, Heinrich«, sagte sie. »Es wird Zeit, daß wir uns das mit uns beiden überlegen.«
»Ich bin immer für dich da, Erna. Immer. Das weißt du. Jeden Tag … du brauchst nur Ja zu sagen. Denk vor allem an die drei Kinder.«
»Und wenn Ewald doch noch wiederkommt?«
»Nach menschlichem Ermessen, Erna, ist das ausgeschlossen.«
»Aber wie klein ist dieses menschliche Ermessen, Heinrich … Bleib weiter unser Freund.«
»Und das Geschäft?«
»Ich schaffe das schon.«
»Die Werkstatt.«
»Ich werde einen Gesellen einstellen.«
»Die Kinder wachsen heran. Ludwig macht in zwei Jahren das Einjährige. Er wird weiter auf dem Gymnasium bleiben, er ist ein begabter Junge. Er wird studieren wollen. Was aus Peter und Inge wird, kann man noch nicht überblicken. Erna … das alles allein zu machen, ist unmöglich! Auch er wollte alles allein machen … nun liegt er da. Ich weiß, es ist jetzt der ungünstigste und dümmste Augenblick … aber, Erna … ich hab dich lieb, das sollst du wissen.«
»Ich weiß es, Heinrich.« Sie drückte seinen Arm und nickte ihm zu. In ihren Augen stand Dankbarkeit, aber es waren die Augen eines ratlosen, ausgesetzten Tieres. »Laß es mich versuchen. Wenn ich es nicht schaffe … ich rufe dich. Bestimmt. Du kennst unseren Spruch …«
»Ja.« Ellerkrug starrte auf das unter ihm wegfliegende Band der Straße. »Paskuleits verdammtes ›Wir lassen uns nicht unterkriegen‹. Es hat ihn untergekriegt. Erna, überleg es dir.«
In Kaiserslautern, im Keller des Instituts für Gerichtsmedizin, durften Erna Kurowski, Franz Busko und Heinrich Ellerkrug zum letztenmal Julius Paskuleit sehen. Man hatte ihn bereits obduziert, aber das sah man von außen nicht. Er trug wieder seinen Anzug, und der verdeckte die breiten Sezierschnitte, die vom Halsansatz bis zum Schambein führten. Von Paskuleit lag nur noch seine Hülle da, innen war er leer wie ein durchlöcherter Eimer. Aber die Ärzte hatten sich dadurch ein Bild seines Sterbens gemacht, und die Staatsanwaltschaft hatte die Leiche bereits zur Beerdigung freigegeben. Die ›Todesursache unklar‹ war geklärt.
Stumm, sich an der Hand haltend standen Ellerkrug und Erna Kurowski vor dem bleichen Körper. Es war Paskuleit, und doch war es nicht Paskuleit … der Tod hatte ihn verändert. Zeit seines Lebens hatte er kein so glattes, entspanntes, geradezu seliges Gesicht gehabt, und wer immer behauptet hatte, Paskuleit sei kein schöner Mann gewesen, sondern so knorrig
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