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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mindestens sechzig Autofahrer, die diese Stelle passiert hatten, nicht bemerkten, sah der junge Mann sofort: Hier hatte niemand einen Wagen abseits der Straße geparkt, sondern der Mercedes war ausgebrochen und erst durch einen Baumstamm zum Halten gebracht worden.
    Der Motorradfahrer hielt an, stieg ab und rannte zu dem etwas schräg liegenden Wagen. Noch bevor er die Tür an der Fahrerseite aufriß, wußte er, daß der so friedlich hinter dem Steuer schlafende Mann nicht mehr lebte. Als ruhe er sich aus – und Ruhe hatte Paskuleit wirklich nötig gehabt –, saß Julius Paskuleit in seinem schönen, neuen Wagen, die Hände noch um das Lenkrad gekrallt, den Kopf zur Seite, die Augen geschlossen. Ein friedlicher Ausdruck lag über seinem Gesicht, eine völlige Entspannung … es war das erstemal, daß er wirklich ohne Pläne für morgen oder übermorgen ausruhte, und dazu war die ewige Ruhe nötig.
    Der junge Mann schwang sich wieder auf sein Motorrad, raste zum nächsten Haus, rief die Polizei an und kehrte zu dem Auto im Buschgelände zurück. Dort wartete er, bis ein Streifenwagen, der Notarztwagen und kurz darauf ein Leichenwagen eintrafen und Paskuleit einkreisten. Wie damals in Ostpreußen, als ihn der Bulle anfiel und zuviel Zeit verging, bis er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, was ihm sein Bein kostete, so war auch diesesmal Paskuleit zu spät entdeckt worden. Die Männer des Leichenwagens hoben ihn vom Sitz, legten ihn in einen engen Zinksarg und schoben ihn in den schwarzen Transporter. Der Notarzt fertigte einen provisorischen Bericht aus, in dem stand: ›Todesursache unklar. Wahrscheinlich Herzversagen. Keine Anzeichen von äußerer Gewaltanwendung.‹ Aber der Zusatz ›unklar‹ genügte, Paskuleits Leiche zu beschlagnahmen und nach Kaiserslautern in die gerichtsmedizinische Abteilung zu bringen. Von dort rief man in Leverkusen an. Franz Busko war am Telefon, er bereitete seinen Auszug aus der Familie Kurowski vor, hatte eine schöne Wohnung bekommen in einem Neubau und kandidierte für den Posten des Landrates. Er hatte einen vorzüglichen Kontakt zu den englischen Besatzungsbehörden, trank mit den Kontrolloffizieren schottischen Whisky und Gin und galt – da er nie Soldat und Parteigenosse gewesen war – als einer der seltenen Deutschen, mit denen man einen neuen Staat aufbauen konnte. Er fand überall offene Türen, sagte seine von Paskuleit einstudierten liberalen und christlichen Parolen auf und wurde so etwas wie der ›neue Geist‹ nach der finsteren braunen Schreckensherrschaft.
    Busko verstand erst gar nicht, was der Beamte der Staatsanwaltschaft in Kaiserslautern sagte. »Herr Paskuleit?« fragte er zurück und stierte wie leergeblasen gegen die tapezierte Wand. Streublümchen auf rosa Grund … Erna mochte dieses Muster besonders gern, es erinnerte an die Küche in Adamsverdruß. Er schüttelte den Kopf und atmete tief durch. »Was ist mit Herrn Paskuleit? Tot? Sie sind wohl verrückt?! Unser Meester ist tot? Det jibt et doch jarnich.« Er fiel wieder in seinen alten Tonfall … das Entsetzen ließ die in den letzten Monaten eingedrillte hochdeutsche Sprache vergessen. »Sie machen keene Witze, wa? Von der Staatsanwaltschaft sind Se? Kaiserslautern? Mann, ick bin der zukünftige Landrat und Parteisekretär der … Ja, ick vastehe! Tot im Auto! Unser Meester? Danke …«
    Er legte auf, setzte sich auf den Stuhl vor das Telefon und brauchte eine Zeit, bis er fähig war, klar zu denken. Zum erstenmal spürte er das Gefühl völliger Verlassenheit und eines nicht mehr zu unterdrückenden Schmerzes. Als sein Vater starb, an einer Lungenentzündung, war er zehn Jahre und hatte geheult. Als die Mutter starb, an einer Lungenembolie, war er siebzehn Jahre und hatte es mannhaft ertragen. Aber das hier schlug ihn nieder. Für Busko war Paskuleit einfach alles gewesen, Vater, Mutter, Meister, die Heimat, die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft, es war ihm undenkbar geworden, ein Leben ohne Paskuleit zu führen … und da fährt der Meister weg nach Pirmasens zu seinem Freund Ellerkrug und stirbt allein, von allen verlassen, neben der Landstraße. Für Franz Busko war die Welt auseinandergerissen. Sie konnte zwar wieder geflickt werden, aber die Risse blieben für immer sichtbar. Es war von da an nur eine gekittete Welt.
    Erna Kurowski und die Kinder begriffen den Tod Paskuleits ebensowenig wie Busko. Sie fuhren alle schon eine Stunde später mit dem Zug nach Pirmasens, nachdem sie an die

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