Aus dem Nichts ein neues Leben
als sie wieder in ihrem Bett lag. Ihre Brüder Ludwig und Peter hielten Wache; Paskuleit, Ellerkrug und Franz Busko, die große Hoffnung seiner Partei, besprachen noch einmal diesen rätselhaften Fall von Kindesraub.
»Eines ist klar« – sagte Busko – »was die auch später für Gesetze machen: Ich plädiere für ein Sondergesetz für Kindesentführung, wie es die Amerikaner haben, so'n deutsches Lindbergh-Gesetz.«
»Woher weißte denn das?« fragte Paskuleit verblüfft. »Jungchen, bisher haste doch nur Zwecken in de Sohlen gekloppt!«
»Ich bin dabei, einschlägige Literatur zu lesen«, sagte Busko stolz. Dann schwieg er, um die Wirkung seiner Worte nicht zu zerstören. Einschlägige Literatur … das war hervorragend gesagt. Paskuleit starrte ihn lange an.
»Franz« – sagte er dann gedehnt – »keener weeß, was wird. Aber wennste mal Minister wirst – in Deutschland ist alles möglich, warum sollen Schuster keine Politik machen –, dann vergeß nich, daß du hier auf 'n Schemel gesessen hast.«
»Nie, Meester.« Busko lehnte sich zurück. »Morjen soll ick wirtschaftspolitischer Sprecher der Partei werden.«
»Es geht aufwärts!« Ellerkrug hob sein Glas. Man trank Habra – unverkürzt ausgedrückt: Hausbrand. Korn, im tiefen Keller heimlich gebrannt. Franz Busko kannte einen Parteigenossen, der machte damit das Geschäft seines Lebens. »Man merkt's. Sie werden auch die Belange der deutschen Schuhindustrie berücksichtigen, Herr Minister?«
Beleidigt zog sich Busko in moltkesche Schweigsamkeit zurück. Um ein Uhr nachts waren alle drei betrunken.
Am nächsten Morgen brachten sie alle zusammen Inge zum Krankenhaus. Vor der Tür des Krankenzimmers sagte Paskuleit leise, aber deutlich »Halt!«, und die um Ellerkrug gewachsene Familie Kurowski stand fast stramm.
»Inge geht allein hinein … wir warten draußen …«, sagte Paskuleit. »Alles wird sich finden.«
Er klopfte an die Tür, stieß sie einen Spalt auf und ließ Inge ins Zimmer schlüpfen. Als er sie wieder zuzog, hörten sie draußen, wie Inge sagte:
»Mami, da bin ich …« Dann folgte ein heller Aufschrei, bei dem Paskuleit glücklich lächelte und Ellerkrug blaß wurde. Busko putzte sich krachend die Nase.
»So« – sagte Paskuleit und gab Ellerkrug einen Stoß in den Rücken – »jetzt du hinein!«
»Warum denn ich?« Ellerkrug stemmte sich gegen Paskuleits drängenden Arm.
»Weil du Rindvieh für 100.000 Mark Inge zurückgekauft hast.«
»Aber das stimmt doch gar nicht.«
»Hast du die 100.000 bei dir gehabt?«
»Ja. Aber die wollte keiner …«
»Kommt es darauf an, du Trottel?! Es hätte möglich sein können, daß sie jemand angenommen hätte. Dann wären sie jetzt weg. Also hast du 100.000 Mark für Inge bezahlt. Ist das Logik? Glotz mich nicht so an … geh rein! Erna weiß von der Lösegeldsumme, Inge ist da … alles andere ist uninteressant. Himmel nochmal, geh schon.« Er riß die Tür auf, stieß Ellerkrug hinein und ließ dann die Tür so weit zuschwingen, daß sie weit genug offen blieb, um alles zu verstehen.
»Heinrich …«, hörte er Erna sagen. Eine so glückliche Stimme kann nur eine Mutter haben, dachte Paskuleit gerührt. »Das vergesse ich Ihnen nie! Nie!«
Aufatmend zog Paskuleit die Tür ganz leise ins Schloß. Wenn der Heinrich jetzt bloß keinen Blödsinn macht, dachte er. Und zu den Jungen sagte er: »Peter, wie gefällt dir Onkel Heinrich?«
»Gut, Onkel Julius.«
»Und dir, Ludwig?«
»Klasse, Onkel.«
»Es wird sich vieles ändern«, sagte Paskuleit verträumt. »Vieles! Eure Mutter hat das Glück verdient …«
Als nach zehn Minuten die übrige Familie Kurowski ins Krankenzimmer kam, saß Ellerkrug auf Ernas Bett und hielt ihre Hände.
Ende Januar erschienen im Laden wieder die Herren Hübner und Runzenmann von der Konkurrenz. Ellerkrug hatte neue Schuhe geschickt, Franz Busko hatte mit dem wichtigsten Mann im Wirtschaftsamt Duzbrüderschaft getrunken, was sich natürlich auf die Zuteilung der Einkaufsscheine auswirkte … das Geschäft ›Westschuh‹ rollte. Die Namen Kurowski und Paskuleit bekamen in Leverkusen einen fast missionarischen Klang.
Es war wie ein Granateinschlag bei Paskuleit, als er Hübner und Runzenmann durch die Tür kommen sah. Und als er ihren ersten Satz hörte, wußte er, daß es ein Volltreffer war.
Runzenmann sagte: »Mein lieber Paskuleit, es geht ja weiter bei Ihnen. Sie verderben systematisch die Kundschaft. Sie haben nicht nur einen sozialistischen
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