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Aus dem Nichts ein neues Leben

Aus dem Nichts ein neues Leben

Titel: Aus dem Nichts ein neues Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ordnung, und nun breche ich ein und zerstöre wieder alles. Habe ich ein Recht dazu? Aber ist es denn auch meine Schuld? Habe ich den Krieg gewollt, bin ich freiwillig nach Rußland gegangen? Habe ich mich nach Sibirien gemeldet? Während sie hier immer mehr der Sonne entgegenwuchsen, hat man uns fünf Jahre unseres Lebens gestohlen. Was kann ich dafür …?
    »Komm rein, Ewald …«, sagte Erna leise und faßte ihn am Ärmel der russischen Steppjacke. Fofaika hieß sie, und sie hatte Kurowski in drei sibirischen Wintern das Leben gerettet. »Nimm ein Bad, zieh dich um … ich mache sofort etwas zu essen …«
    »Ich habe nichts als das, was ich anhabe«, sagte Kurowski. »Sie wollten mir im Lager einen Anzug geben, aber das hätte bis morgen gedauert. Das war mir zu lange … ich wollte nach Hause.«
    »Wir kaufen dir morgen fünf Anzüge, Ewald …« Und plötzlich drehte sie sich um, schlug Ludwig und Peter mit beiden Händen ins Gesicht und schrie: »Was steht ihr hier herum und glotzt? Euer Vater ist da! Ludwig, laß heißes Wasser in die Wanne! Peter, hol vier Flaschen Bier und eine Flasche Bärenfang … los, los … euer Vater ist aus Rußland zurück …«
    »Bärenfang …«, sagte Kurowski leise. »Erna, den gibt es noch?«
    »Ja. O Ewald, Ewald … ich bin so glücklich.« Sie umarmte ihn, hing an seinem Hals, und es war ihr gleichgültig, daß die Kinder betreten herumstanden und ihre Mutter nicht mehr begriffen. Erst, als Erna dem großen, schlaksigen Ludwig noch eine Ohrfeige gab, löste sich die Spannung, und die Jungen rannten davon.
    »Sie müssen sich daran gewöhnen –«, sagte Kurowski leise. »Schlag sie nicht, Erna. Da kommt ein fremder Mann, und der soll plötzlich ihr Vater sein. Wer kann das begreifen? Sie brauchen Zeit. Ich werde auch Zeit brauchen, um mich zurechtzufinden. Fünf Jahre sibirischer Urwald … da wird man ein Wolf, Erna.« Er ließ sich in das große Wohnzimmer führen und setzte sich vorsichtig auf die äußerste Kante der breiten, mit englischem Leinen bezogenen Sessel. »Wie in einem Schloß …«, sagte er fast schüchtern. »Ihr habt es zu 'was gebracht.«
    »Es gehört alles dir, Ewald.«
    »Dir, Erna. Ich habe bloß Holz gefällt … Wo ist Julius?«
    »Tot. Herzschlag.«
    »Oma und Opa?«
    »Oma von Tieffliegern erschossen, auf der Flucht in den Westen. Opa im Gefängnis von Lübeck gestorben.«
    »Franz?«
    »Ist Landrat und I. Parteisekretär.«
    »Erna, die Welt steht kopf.« Kurowski stützte den Kopf in beide Hände. »Wenn du wüßtest, wie wir uns das alles ausgemalt haben, die Rückkehr … zurück aus Sibirien … Ich kann noch gar nicht begreifen, daß ich hier bin.« Er griff nach Erna, zog sie auf seinen Schoß und blickte in ihren Ausschnitt.
    »Und wie du aussiehst. So vornehm. Schön bist du geworden. Erna. Viel schöner als früher. Etwas voller. Steht dir gut. Hast du immer solche Kleider an?«
    »Nein.« Sie streichelte seinen Kopf und zitterte, als seine rauhe Hand sich auf ihre Brüste legte. »Ich wollte heute nach Köln fahren. Ins Theater.«
    »Nach Köln. Ins Theater. Und da komme ich und störe dich …«
    »Wenn du weiterredest, Ewald, heule ich los!« Sie preßte sich an ihn und spürte, daß es kein größeres Glück mehr auf dieser Welt gab, als ihn zu fühlen. »Jetzt bist du wieder da … und morgen kaufen wir Hemden, Anzüge, Schuhe … mein Gott, wie dumm, wir haben sie ja im Laden … und dann stellst du dich hinter die Theke, und alles ist so, als wäre es nie anders gewesen. Wir alle haben ja nur auf dich gewartet Ewald …«
    Es klopfte. Ludwig kam ins Zimmer. »Das Bad ist fertig«, sagte er. Ihm folgte Peter mit einem Korb. Seine Augen glänzten. Er hatte im Lebensmittelgeschäft erzählt: »Mein Vater ist wieder da. Aus Rußland!« und man hatte ihm eine Flasche Doppelkorn umsonst gegeben.
    »Das Bier, Papa …«, rief er an der Tür. »Die haben dir eine Flasche Korn geschenkt!«
    Kurowski lächelte zaghaft. Meine Söhne, dachte er. Wie groß, wie schön, wie gesund. Herrgott, ich danke dir. Nur das Mädchen fehlt. Meine Inge. Mein Urlaubskind. Für sie ist es besonders schwer, für sie bin ich ein Wilder.
    Erna führte ihn zum Bad. Schon durch die Tür duftete es ihm entgegen. Fichtennadeln. Dann stand er vor der Wanne, allein, nackt, bewunderte die dunkelblauen Kacheln und die verchromten Armaturen, die geblümten Frotteehandtücher und den eingebauten Spiegelschrank über den Waschbecken.
    Ein Schloß, dachte er wieder.

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